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Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Titel: Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
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Keuchend und bibbernd lag ich da, und mein Herz pochte so heftig, dass es weh tat.
    Mir war kalt. Mein Schlafsack war klamm. Ich streckte die Hand aus und tastete die Wand ab. Nass. Es dauerte einen Moment, ehe mir klarwurde, was geschehen war. Der Ofen hatte den Raureif geschmolzen.
    Der Traum wich nicht von mir. Ich wusste, dass das Grauen, das ich gespürt hatte, nicht meines war. Ich musste an die dunklen Flecken auf dem Bärenpfosten denken. Das Geräusch von Metall, das über Fels geschleift wird.
    Da fiel mir etwas ein, das ich völlig vergessen hatte: das rostige Gerümpel, das wir vorfanden, als wir nach Gruhuken kamen. Wir haben es unter Steinen verscharrt, damit die Hunde sich nicht verletzen konnten. Draht. Landungshaken. Messer. Riesige, rostige Messer: Messer, wie man sie benutzt, nachdem man die Robbe mit dem Haken eingeholt und an Land gehievt hat.
    Flensmesser.
    Ich schaffte es nicht bis zum Toiletteneimer. Ich übergab mich auf der Türschwelle, bis mir der Bauch weh tat.
    Isaak kam mir nach und schleckte das Erbrochene auf.
    Zittrig wie ein alter Mann hinkte ich zur Küche. Ich füllte Isaaks Schüssel und stellte sie auf den Boden. Ich sah zu, wie er daran schnüffelte. Ich schöpfte mir Wasser in eine Tasse und versuchte zu trinken. Mir klapperten die Zähne. Ich konnte nicht schlucken. Ständig blitzten Szenen aus dem Traum vor mir auf.
    Flensmesser.
    Männer wie die – wenn sie wissen, dass keiner dahinterkommt, sind sie zu allem fähig.

    Als ich acht Jahre alt war, sah ich ein paar ältere Jungen einen Hund quälen. Zu Anfang traten sie ihn nur. Dann holte einer von ihnen sein Taschenmesser heraus und schlitzte dem Hund die Augen auf. Ich erinnere mich noch daran, wie ich ihn die Straße hinuntertorkeln sah, in mir der verzweifelte Wunsch, sein Leiden möge ein Ende haben; bitte, bitte, mach, dass er überfahren wird. Doch das Vieh taumelte blindlings über die Straße und um die Ecke, und als ich dort angelangt war, war es verschwunden. Wochenlang betete ich darum, dass der Hund schnell gestorben war. Doch so jung ich auch war, vermutete ich doch, dass ein Gott, der solcherlei Grausamkeit duldet, sich nicht darum schert, dem ein Ende zu bereiten.
    Ich möchte nicht daran denken, was sie dem Fallensteller von Gruhuken angetan haben. Ich höre noch immer das Geräusch von Metall, als sie die Haken über den Fels gezerrt haben; als sie die Messer nahmen und sich ans Werk machten.
    Und nachdem sie mit den Messern fertig waren, kam das Paraffin ins Spiel, und die Fackeln. Ich wünschte, ich könnte glauben, dass er da schon tot war, aber das ist unwahrscheinlich.
    Ich will das nicht in meinem Kopf haben. Ich wünschte, ich könnte mir den Verstand rein scheuern.
    Es ist zwei Uhr morgens, doch ich fürchte mich davor, wieder einzuschlafen. Wenn der Traum zurückkehren würde …
    Also werde ich mich stattdessen mit dem Raureif beschäftigen. Bjørvik hat mir einen Kniff verraten. Man nagelt Wolldecken an Wände und Decke, und das verhindert irgendwie, dass der Reif sich sammelt.
    Fertig. Ich habe es geschafft. Ich habe die Schlafkammer mit Decken ausgekleidet. Die Konzentration aufs Hämmern hat mich ein wenig beruhigt.
    Auch wenn mir der Gedanke gekommen ist, dass ich mir meine eigene Gummizelle gebaut habe.
    Später
    Ich dachte, es will, dass ich verschwinde, doch jetzt bin ich klüger.
    Ich muss wohl eingeschlafen sein, denn ich erwachte zusammengekauert in meiner Koje. Das Fenster war ein dunkelgraues Rechteck in der Schwärze. Isaak stand mitten im Raum. Seine Nackenhaare waren gesträubt, die Ohren eng angelegt.
    Draußen, direkt neben meinem Kopf, waren Schritte auf dem Plankenweg. Ein schwerer, nasser, unregelmäßiger Gang.
    Mir brach der kalte Schweiß aus. Ich lag starr da und lauschte, wie die Schritte langsam über den Plankenweg zur Vorderseite der Hütte gingen. Ich tastete im Bettzeug nach meiner Taschenlampe. Isaak kam und drängte sich zitternd gegen meine Koje. Ich fand die Taschenlampe, knipste sie jedoch nicht an. Ich sah etwas Dunkles am Fenster vorbeigehen.
    Ich umklammerte die Taschenlampe wie einen Talisman und schwang die Beine über den Kojenrand. Ich stolperte in den Hauptraum hinüber. Isaak folgte mir.
    Ich fürchtete, die Schritte würden auf der Veranda haltmachen, doch sie gingen weiter, als würde die Veranda gar nicht existieren. Ich tastete mich durch den Raum zum Nordfenster. Da. Ganz am Rand, halb zu sehen. Etwas Dunkles.
    Die Schritte auf dem Plankenweg
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