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Dein Blick so kalt

Dein Blick so kalt

Titel: Dein Blick so kalt
Autoren: Inge Loehnig
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Nummernschilder hatte er vorsichtshalber mit Schlamm unkenntlich gemacht. Das letzte Stück des Wegs ging er zu Fuß. Der Wind zerrte an seinem Haar, fuhr in die Jacke und blähte sie auf. Ein erster Regentropfen traf ihn im Gesicht. Regen war das Letzte, das er jetzt brauchen konnte. Er musste sich beeilen. Einen Moment überlegte er, ob er die Angelegenheit wegen des aufziehenden Unwetters verschieben sollte, entschloss sich dann aber dagegen. Das Gefühl, keine Zeit verlieren zu dürfen, hatte ihn fest im Griff, seit sie entdeckt worden war. Ihre Leiche, die niemals hätte gefunden werden sollen.
    Gestern Nacht hatte er die federleichte Last durchs Unterholz getragen. Er hatte sie abseits des Wegs in einer Kuhle abgelegt und war zum Auto zurückgekehrt, das keine fünfzig Meter entfernt gut verbogen in einer Fichtenschonung in einem Seitenweg stand, um den Spaten zu holen. Auf dem Rückweg hörte er plötzlich Gesang durch den Wald hallen und sah das Licht einer Taschenlampe über die schmale Schotterstraße irren, die den Forst durchschnitt. Eine Gruppe Wanderer näherte sich. Nachts um elf. Offenbar war ihre Rast in einem nahe gelegenen Biergarten ausgeufert, denn reichlich angetrunken schwankten drei Frauen und zwei Männer in Wanderklamotten den Weg entlang, der sich wie ein helles Band durch den Forst zum nächsten Dorf mit S-Bahn-Station zog. Aus einiger Entfernung beobachtete er sie. Hoffentlich war der Spuk gleich vorüber. Doch dann meinte eine dralle Blonde, sie müsse jetzt pinkeln und lieh sich die Taschenlampe, um im Gebüsch ihre Notdurft zu verrichten. Herrgott! Sie arbeitete sich tiefer und tiefer in den Wald vor. Als dann ihr Schrei durch die Nacht gellte, wusste er, dass man sie gefunden hatte. Unbemerkt war er davongeschlichen und es war ihm beinahe wie eine Fügung des Schicksals erschienen, dass er sich ausgerechnet ein Hybridfahrzeug ausgeliehen hatte. Beinahe lautlos war das Auto durch die mondhelle Nacht geglitten.
    Er erreichte den Hof. Der Wind nahm stetig zu. Eine kalte Böe erwischte ihn. Eigentlich kam ihm das Unwetter gelegen. Der Sturm würde das Feuer anfachen.
    Er zog den Schlüsselbund hervor, sperrte das Vorhängeschloss auf und löste die schwere Metallkette. Das Scheunentor quietschte in den verrosteten Angeln. Drinnen umfing ihn sommerstaubige Hitze. In einer Ecke raschelte es leise. Mäuse. Er zog die Taschenlampe hervor und schaltete sie an. Das Licht glitt über einen Bretterstapel, einen mannshohen Haufen Stroh, das im Laufe der Jahre grau geworden war und einen Berg von Gerümpel. Vergessene Schubkarren, Harken, Schaufeln. Abgebrochene Stiele, verrostetes Metall, löchrige Säcke. Er schloss die Tür auf, die in den Stall führte, und durchquerte ihn. Seine Schritte hallten auf dem Betonboden nach. Ein schwacher Abklatsch des Gestanks nach Gülle und Mist, der früher zwischen diesen Mauern gehangen hatte, behauptete sich noch immer und wurde vom Geruch des feucht gewordenen Verputzes kaum überdeckt. An der Tür zum Milchraum nahm er das Vorhängeschloss ab. Das Licht der Taschenlampe tanzte durch das gekachelte Verlies, in dem sie ihre letzten Tage verbracht hatte. Daniela. So selbstbewusst, so stark, so ohne Furcht war sie gewesen, als er sie kennengelernt hatte. Und das genaue Gegenteil, als sie ihn verließ. Ein einziges Bündel Angst.
    Er raffte das Plastikgeschirr mit den vertrockneten Essensresten, die leere Colaflasche und ihre Schuhe zusammen, die er gestern ganz übersehen hatte, und warf alles auf einen Haufen in der Scheune. Als Letztes folgten Matratze, Decke und Kissen.
    Anschließend sperrte er die Tür zur Küche auf, die sich nur wenige Meter vom Milchraum entfernt befand. Die Platte des Kiefernholztischs war schrundig, die Fenster blind vor Staub, am Schemel blätterte der Lack. All die funkelnde Technik wirkte seltsam fehl am Platz, wie aus der Zeit gefallen. Ein merkwürdiger, irritierender Gedanke, der ihn für einen Augenblick verunsicherte. Doch er fing sich rasch, baute die Technik ab. Kameras, Monitor, Aufzeichnungsgerät. Alles drahtlos und akkubetrieben. Perfekt für seine Zwecke. Er verstaute die Sachen im Auto und kehrte in die Scheune zurück. Dort türmte er Stroh und Bretter über der Matratze und den anderen stummen Zeugen auf. Der Wind war inzwischen zu einem Sturm angeschwollen, der an den Scheunenwänden rüttelte, durch die Ritzen zwischen den Holzlatten pfiff und den Staub vom Boden wirbelte. Er musste sich beeilen. Das Gewitter
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