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Dein Blick so kalt

Dein Blick so kalt

Titel: Dein Blick so kalt
Autoren: Inge Loehnig
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setzte sich Wehmut in Lous Hals. Schon vorbei, die Schulzeit. Die Clique würde auseinanderbrechen. Doch dann schluckte sie den sentimentalen Klumpen hinunter und spürte wieder ein vorfreudiges Kribbeln. So viel Neues wartete auf sie. München! Freiheit! Trotz all der Absagen, die sie bisher auf ihre Bewerbungen erhalten hatte, zweifelte sie nicht daran, dass es ihr gelingen würde, eine Lehrstelle in München zu ergattern. Sie warf einen erwartungsfrohen Blick auf die Kuverts in ihrer Hand. Diesmal musste es einfach klappen.
    Mit gestrafften Schultern ging sie durch das historische Zentrum der Stadt, stapfte über holpriges Kopfsteinpflaster, vorbei an uralten Häusern, passierte den Stadtturm mit seinen fünf patinagrünen spitzen Hauben und erreichte ihr Ziel, die Post am Stadtgraben.
    Die Uhr des Stadtturms schlug fünf, als sie wieder in die Sommerhitze trat und sich auf den Heimweg machte, obwohl sie eigentlich keine rechte Lust dazu hatte. Auf dem Theresienplatz begegnete ihr Caro mit einer H-&-M-Tüte in der Hand. Seit der ersten Klasse waren sie beste Freundinnen und so gegensätzlich wie Paris Hilton und Janis Joplin.
    »Hey Lou!« Caro trug einen geblümten Jumpsuit mit gewickeltem Oberteil und minikurzem Bein, der nur die absolut erforderlichen Teile ihrer gebräunten Haut bedeckte.
    »Hey Caro! Hast du auch Lust auf einen Kaffee?«
    Ihre Freundin strich die langen blonden Haare über die Schulter und schob die Sonnenbrille nach oben. »Bei der Hitze eher auf einen Iced Caramel Macchiato.«
    »Gute Idee.«
    Gemeinsam trabten sie zum Coffee To Go und holten sich an der Theke zwei eiskalte Caramel macchiatos. Während sie damit durch die Fußgängerzone gingen, erzählte Caro, dass ihr Bruder Ferdi einen Studienplatz für Biologie in München ergattert hatte. »Jetzt ist er auf der Suche nach einem bezahlbaren WG-Zimmer. Und Ma überlegt schon, was sie mit seinem Zimmer macht. Ob sie es für sich als Büro einrichten soll oder in ein Gästezimmer verwandelt. Ich finde das ziemlich übel. Als ob sie Ferdi unbedingt loswerden wollte.«
    »Soll sie es leer stehen lassen oder darauf warten, dass er wieder zu Mami zurückkommt?«, fragte Lou verwundert. »Ich wäre froh, wenn meine Mutter mein Zimmer verplanen würde. Aber vermutlich kann sie sich gar nicht vorstellen, dass ich jemals ausziehe, und wenn es dann so weit ist, dann wird das ein Kampf werden. Dann werden ihr tausend Gründe einfallen, weshalb ich das besser nicht tun sollte. Also ehrlich: Ich würde liebend gern mit Ferdi tauschen.«
    Caro schmunzelte. »Du wirst dir deine Freiheit schon erkämpfen. Da mache ich mir keine Sorgen!«
    Caros Handy piepte. Sie zog es hervor. »Eine SMS von Tobias, ob wir uns heute Abend mit den anderen an der Donau treffen wollen. Zum Picknicken. Jeder bringt was mit.«
    »Klingt gut. Wann geht es los?«, fragte Lou.
    Sie verabredeten sich für acht und trennten sich am Stadtgraben.
    Als Lou nach Hause kam, schleppte ihre Mam gerade die Wochenendeinkäufe ins Haus. Zwei übervolle Klappkisten. Lou konnte es sich nicht verkneifen zu sticheln. »Kriegen wir Besuch?«
    Ihre Mam sah hoch und wischte sich mit dem Handrücken über die schweißfeuchte Stirn. Der neue Kurzhaarschnitt betonte ihre praktische und zupackende Art ebenso wie Bermudashorts, Poloshirt und Sneakers. Sie war bis auf die Knochen pragmatisch und wusste immer, was richtig war. Meist auch für andere und leider behielt sie das selten für sich. Sie ging auf Lous Provokation nicht ein und fragte stattdessen, ob sie das Wasser hineintragen könnte.
    »Klar.« Lou griff sich zwei Kisten und schleppte sie in den Keller. Als sie wieder nach oben kam, war ihre Mam damit beschäftigt, einen Berg Tiefkühlkost im Gefrierfach zu verstauen, und schob etliche Packungen Fleisch hinterher. Angewidert wandte Lou sich ab.
    Als sie verstanden hatte, was Fleisch war, war sie vielleicht sechs Jahre alt gewesen. »Wieso heißt das eigentlich Kalbsschnitzel?«, hatte sie in aller Unschuld gefragt. Bis zu diesem Zeitpunkt war Fleisch etwas gewesen, das man im Supermarkt entweder in Styroporschalen und Folie verpackt im Kühlregal oder offen an der Theke kaufte, so wie Obst und Gemüse oder Käse und Wurst.
    »Na, weil es vom Kalb stammt«, hatte ihr Pa geantwortet. »So wie ein Schweineschnitzel eben ein Stück vom Schwein ist.«
    Sie aß kein Schnitzel oder Kotelett! Sie aß Teile von toten Tieren! Leichenteile! Auf der Stelle war ihr schlecht geworden. Seither hatte sie
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