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Deichgrab

Deichgrab

Titel: Deichgrab
Autoren: authors_sort
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überlegen, einen Kopf größer und ein Kreuz, das beinahe doppelt so breit war wie Broders. Überhaupt kam Frank mehr nach seiner Mutter. Für eine Frau war sie sehr groß und stämmig gewesen, eher ein burschikoser Typ. Und das dunkle Haar hatte Frank ebenfalls von ihr geerbt.
    »Wenn du mich jetzt wohl entschuldigst? Ich habe noch Schlaf nachzuholen.«
    Frank schob sich ohne ein weiteres Wort an seinem Vater vorbei in den Flur und verschwand im Schlafzimmer. Angezogen warf er sich aufs Bett. Durch einen kurzen Seitenblick vergewisserte er sich, dass Meike nicht aufgewacht war. Dann schloss er die Augen und fiel augenblicklich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
    Als Meike nach nur wenigen Minuten ein leises, regelmäßiges Schnarchen hörte, kroch sie vorsichtig unter ihrer Bettdecke hervor und stand auf.
    Frank hatte sich nicht geirrt, sie war tatsächlich nicht aufgewacht, als er sich plump und rücksichtslos einfach aufs Bett hatte fallen lassen. Sie hatte gar nicht geschlafen. Leise griff sie nach Franks Mantel, den er direkt vor seinem Bett ausgezogen und achtlos auf den Boden hatte fallen lassen. Meikes Hand glitt in die Seitentaschen. Nichts. Erleichtert atmete sie auf.
    Sie schlüpfte in ihre Pantoffeln, schlich leise hinaus auf den Flur. Das Wohnzimmer war leer. Broder war zurück in sein Zimmer gegangen. Der Zigarettenrauch hing noch in der Luft.
    Meike öffnete das Fenster, atmete tief durch. Ihr Blick fiel auf die Zigaretten, die auf dem Couchtisch lagen, dann auf die Streichhölzer. Ihr Herz krampfte sich plötzlich zusammen. Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht und weinte.

     
    Der kleine Friedhof lag direkt neben der Dorfkirche. Tom parkte den Wagen auf dem Kiesstreifen vor dem Haupteingang. Die hölzerne Pforte ließ sich leicht öffnen, nur die Scharniere ächzten ein wenig.
    Im vorderen Teil des Friedhofes befanden sich alte Familiengräber. Einige der Grabsteine waren so stark verwittert, dass die Namen kaum noch lesbar waren. Weiter hinten, direkt neben der Kirche, sah er die neueren Grabstellen. Frische Blumenkränze deuteten auf eine nicht lang zurückliegende Beerdigung hin.
    Da der Friedhof nicht besonders groß war, benötigte er nur kurze Zeit, bis er das Grab von Onkel Hannes gefunden hatte. Hier lagen keine Blumenkränze. Lediglich ein schlichtes Holzkreuz gab Auskunft über seine letzte Ruhestätte: Hannes Friedrichsen; * 15. 08. 1 934;
    † 07. 04. 1995 . Seltsam, erst beim Lesen der Lebensdaten wurde ihm bewusst, wie alt sein Onkel eigentlich geworden war.
    Hinter sich hörte er plötzlich ein leises Knirschen. Er drehte sich um und sah Pastor Jensen auf dem schmalen Kiesweg zwischen den Gräbern näher kommen.
    »Moin, Moin.«
    »Morgen Pastor Jensen.«
    »Ach, du bist es, Tom!« Pastor Jensen erkannte ihn erst jetzt. Tom war damals sein Religionsschüler gewesen. Obwohl Onkel Hannes selbst nie in die Kirche gegangen war, hatte er doch darauf bestanden, dass Tom den Religionsunterricht besuchte.
    »Ich habe dich beinahe nicht erkannt. Schön, dass du da bist.«
    »Ich konnte leider nicht früher kommen. Ihr Brief hat mich erst letzte Woche erreicht.«
    Der Geistliche hatte ihn vom Tod seines Onkels unterrichtet und ihn gebeten, den Nachlass zu regeln.
    »Ich bin umgezogen und mit dem Nachsendeauftrag gibt es einige Probleme«, fügte Tom hinzu. Er hoffte, dass es sich nicht wie eine Ausrede anhörte.
    Pastor Jensen nickte und sagte mit einem Blick auf das Grab:
    »Nun hat er es endlich geschafft.«
    ›Was meinte er damit? Was hatte Onkel Hannes geschafft? War er womöglich sehr krank gewesen?‹
    Als Tom gerade zur Frage ansetzen wollte, kam Pastor Jensen ihm zuvor: »Darf ich dich auf eine Tasse Kaffee einladen?«
    »Gern!«
    Während sie gemeinsam den Weg hinüber zum Pastorat gingen, erzählte der Pastor ihm von der Beerdigung.
    »Es war schon traurig. Nur Küster Hansen und ich waren da. Wir haben ein Gebet gesprochen und Hansen hat auf seiner Trompete ›Meine Heimat ist dort in der Höh’‹ gespielt. Vielleicht hätte es ihm gefallen.«
    Tom bezweifelte das.
    Im Pastorat hing der Kaffeeduft vom Frühstück noch in der Luft. Pastor Jensen bat Tom Platz zu nehmen und stellte zwei Tassen, ein Milchkännchen und eine Zuckerdose auf den Tisch. Tom blickte sich um. Der Raum war freundlich und gemütlich, vielleicht etwas altmodisch eingerichtet. Auf dem Tisch lag eine hellblaue Plastiktischdecke, an den Wänden hingen bunte Kunstdrucke von einem ihm unbekannten Maler.
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