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de profundis

de profundis

Titel: de profundis
Autoren: Viktor Jerofejew
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Ein Junge aus dem ersten Semester hatte sie auf der Datscha gebumst und danach nicht einmal nach ihrer Telefonnummer gefragt.
    »Sex ist für mich, wenn er in mir ist.«
    »Im Mund ist nicht in dir?«
    Lisa lacht schallend. Anja ist Romantikerin. Lisa auch.
    »Wenn ich den Roman geschrieben habe, gibt's rosa Stiefel. Hilfst du mir, ihn zu veröffentlichen?«
    Lisa hat noch einen richtigen Kinderpopo, und Anja hat ein breites Becken. In der Sauna rückte Poletschka näher an Lisotschka heran. Poletschka trug einen Badeanzug, Lisotschka nichts. Hilf ihr. Na klar. Sie streichelte Lisotschkas Arme. Die Ärmchen. Beinchen, Ärmchen. Sie begannen zu schnurren. Nachts tranken sie an der Zapfsäule direkt aus der Flasche Sekt, der nach Hefe schmeckte. Zu Drogen hat sie ein »ironisches« Verhältnis, aber sie findet, dass man »kein Spielverderber sein darf und alles mal ausprobiert haben muss«.
    »Stimmt natürlich nicht.«
    Den Unterschied zwischen ihren Ansichten und denen der Mutter drückt Lisa mit einem Satz aus:
    »Mama will überleben und mich in ihre Philosophie hineinziehen, aber ich will leben.«
    »Hat Russland eine Zukunft?«
    »Da bin ich sicher.« Lisa sieht mich verblüfft an. »Ich bin ein Teil von seiner erfolgreichen Entwicklung. Putin finde ich toll.«
    Das Moskau von 1985 und die heutige Metropole haben praktisch nichts gemein als den Namen. Aber das Gespräch darüber verwandelt sich immer öfter in leeres Gerede. Niemand kann es mehr hören, dass Moskau sich verändert habe, grundsätzlich anders geworden sei.
    »Mama hat keine Ahnung, wie man Geld verdient«, klagt Lisa, als Anja erneut wie der Blitz aus der Küche schießt, um zu telefonieren. »Sie verlangt so unverschämte Preise für ihre Arbeiten, dass keiner sie kaufen will. Sie arbeitet nicht für den Markt. Das wäre ihr peinlich. Das ist nichts für sie. Sie träumt mehr von einer neuen Liebe als von der Arbeit. Sie ist in Gedanken immer im Bett.«
    Lisas Eltern leben in gutem Einvernehmen, wenn auch an unterschiedlichen Enden von Moskau. Wegen Wohnungsproblemen.
    »Vater vertraut mir auch seine Geheimnisse an«, gesteht Lisa. »Er findet, dass Mama …«
    Anja kommt herein. Sie liebt das mondäne Leben. Bei Empfängen in ausländischen Vertretungen bittet sie mich immer, sie den Botschaftern der verschiedenen Länder vorzustellen. Sie hätte am liebsten eine doppelte Staatsangehörigkeit. Wahrscheinlich hat sie dafür ihre Gründe.
    »Worüber sprichst Du?«, fragt Anja diplomatisch.
    »Darüber, dass einige meiner Freundinnen frigide sind.«
    »Also echt!«, sagt Anja erschrocken (ihr familieninternes »also echt!«).
    Sie erschrickt ausdrucksvoll. Immer theatralisch. Manchmal nicht zur Sache. Anja hat viele verwegene künstlerische Pläne. Einmal löcherte sie mich, drei Lastwagen Sand für eine Installation aufzutreiben, aber ich hatte nicht genug Beziehungen zur Moskauer Stadtverwaltung. Die Tochter möchte noch berühmter werden als die Mutter. Schweren Herzens muss ich sagen, dass das kein Problem sein dürfte. Anja hat einen sehr schönen Rücken; ihr Foto, auf dem sie halb entkleidet zu sehen ist, hängt bei mir im Computerzimmer. Lisa ist ein Fan von Fotosessions. Ich schiebe den Moment vor mir her, an dem ich mir Lisas englische Lieder anhören muss. Lisa und Anja beteuern, dass die Lieder sogar Artjemi Troizki, dem Musikkritiker, gefallen. Ich müsse sie mir unbedingt anhören. Ich weiß nicht, warum, aber ich muss an Madame Chochlakowa aus den »Brüdern Karamasow« denken. Lisa fügt hinzu, ihr jüngerer Bruder sei auch sehr begabt. Der Tag des Hauskonzerts ist gekommen. Poletschka läuft voraus. Lisanotschka und ich hinterher. Wir klingeln an einer roten Tür. Immer hereinmarschiert. Ich fühle mich als großer Gönner. Wir nehmen Platz. Poletschka legt ihre schmalen Hände auf die Knie. Lisa greift in die Tasten. Neueste Technik. Wasserfälle stürzen die Wände herab. Alles glitzert und funkelt. Sie hämmert in die Tasten. Sie singt. Mein Freund zieht eine schreckliche Grimasse.
    »Lass man gut sein«, flüstert er mir zu. »Meine Frau, das ist ein anderes Kaliber.«
    Wir hören altschottische Balladen. In der Interpretation seiner Frau. Kein Vergleich! Moskau hat sich innen verändert. In der Stadt schlägt ein anderes Herz. Sie ist eine Modepuppe – auch sie färbt sich Haupt- und Schamhaar in derselben Farbe, hat knallrote Schamlippen. Moskau sagt nicht mehr »Na los, ich blas dir einen!«, sondern »Möchtest du, dass
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