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de profundis

de profundis

Titel: de profundis
Autoren: Viktor Jerofejew
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Treppenhäusern Jahre alte Gerüche halten und über dem ganzen Gebiet eine unbeschädigt gebliebene, von einer wunderlichen Doppelspitze gekrönte Feuerwarte thront.
    Ich wiederhole, dass mich die Laune eines Taxifahrers dorthin verschlagen hatte, der mit dem Hinweis auf die Überlastung der Hauptverkehrsadern unbedingt diesen Weg nehmen wollte. Ich hatte nichts dagegen einzuwenden. Wir bogen also von der belebten Straße ab und fuhren eine Weile über eine schmale Asphaltstraße, der Länge nach aufgerissen von zwei Paar Straßenbahnschienen.
    Es war grau und windig, ein eher herbstlicher Tag.
    Ich war mit meinen Gedanken beschäftigt und starrte automatisch aus dem Fenster, ohne irgendeine Beziehung zu dem Raum zu spüren, durch den wir fuhren. Im Grunde lässt mich Architektur relativ gleichgültig, und seit meiner Kindheit kann mich die Hässlichkeit von Stadtlandschaften nicht erschüttern.
    In diesem Teil der Stadt gab es weder interessante Restaurants noch avantgardistische Theater oder sonstige Vergnügungsstätten. Die Läden hier verfügten über ein selten karges Warenangebot. Da gab es exakt so viel, um der feindseligen Behauptung widersprechen zu können, wir litten Hunger und liefen barfuß. Der Wagen stolperte auf einmal unbeholfen über die Fahrbahn, und mir dämmerte, dass es sich um Kopfsteinpflaster handelte. Vermutlich war der Fahrer derselben Meinung, obwohl sein Gesicht vage Zweifel ausdrückte. Ein schwarzer Lieferwagen überholte uns und hupte. Die darin sitzenden Leute machten unverständliche Zeichen. Der Fahrer bremste unverzüglich. Ein knirschendes Geräusch.
    Ich erinnere mich nicht gut an das Äußere des Fahrers. Verdrossen berührte er mit der Hand den qualmenden Reifen. In der Luft hing ein Geruch von verbranntem Gummi. Passanten blickten in unsere Richtung, aber niemand kam näher.
    »Werden Sie den Reifen wechseln?«, fragte ich teilnahmsvoll, übrigens ohne innere Anteilnahme. Ich war verärgert. Ich hatte zu tun und war in Eile. Ich leiste mir kein Taxi, wenn ich es nicht eilig habe.
    »Gegen was soll ich ihn denn wechseln?«, blaffte der Fahrer mich an, am Boden zerstört. Der Reifen qualmte.
    Ein ganzes Stück entfernt baumelte über den Schienen ein Haltestellenschild der Straßenbahn. Ich zahlte dem Taxifahrer den ausgehandelten Betrag. Seine verlangsamten Bewegungen wurden mir allmählich unangenehm. Es schien, als brauchte man ihn, wie er da vor dem qualmenden Reifen hockte, nur anzutippen, und er würde auf die Seite fallen und selbst zu qualmen anfangen.
    Ob ich mich entschlossen habe, meinen Weg fortzusetzen oder nach Hause zurückzukehren? Ich habe mich wohl entschlossen weiterzufahren, denn bisweilen ist unsere innere Trägheit zu groß, um ein Vorhaben zu ändern. Ich lief vorbei an niedrigen Häusern mit mehrfach überpinselten Haustüren, Aufgängen aus rissigem Mauerwerk, tiefen, von Pfützen bedeckten Toreinfahrten und kleinen Fensterchen, die hier von Vorhängen, dort von Zeitungspapier verdeckt waren. Als ich schon beinahe an der Haltestelle stand, wurde die Straße etwas breiter. Hier befand sich die Feuerwarte.
    An dieser Stelle der Straße waren mehr Menschen, und sie liefen nicht nur auf und ab, sondern standen auch in Grüppchen und einzeln herum.
    »Du müsstest ein bisschen abnehmen«, war eine leise weibliche Stimme zu hören.
    »Ach Gott, vergiss es!«, kam hoffnungslos zur Antwort. »Wir sind doch alle so. Mutter hat immer auf drei Stühlen gesessen.«
    Meine Aufmerksamkeit wurde von einem Haus in unmittelbarer Nachbarschaft des Feuerwehrturms angezogen. Es war in einer sumpfgrünen Farbe gestrichen, früher musste es anders gestrichen gewesen sein, denn da, wo die staubtrockene Farbe abblätterte, waren bläuliche Flecken zu sehen. Einen schrecklichen Eindruck machte das Schaufenster im Erdgeschoss dieses Hauses. Nein, damit will ich nicht sagen, dass das Haus mehrere Stockwerke hatte. Oberhalb des Schaufensters gab es keine einzige Fensterreihe mehr, dabei war die Fassade ziemlich hoch, wie bei einem Kino, und auf ihrem fensterlosen Teil waren die Buchstaben eines Schildes zu sehen. Doch zunächst zu dem Schaufenster.
    Darin waren zwei schön geschreinerte, elegante, helle, nicht sehr große Fichtensärge ohne alle Posamenten und Glanzstoffe ausgestellt. Die Särge waren offen, die nagelneuen Deckel standen akkurat an die Seitenwände des Schaukastens gelehnt. In jedem Sarg lag ein Kind im Vorschulalter. Als ich gespannt genauer hinsah, erwies sich,
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