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Davids letzter Film

Davids letzter Film

Titel: Davids letzter Film
Autoren: Jonas Winner
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das Klingeln
     in seinen Ohren hindurch hörte er die Kommandorufe der Polizisten. Sie schienen aus dem Nichts gekommen zu sein.
     
    Dann sah er ihn rennen. Überall war weißer Rauch, der sich im kalten Abendwind jedoch rasch verzog. David sprintete über das
     Dach des Hinterhauses zum Nachbargebäude. Mit einem gewaltigen Satz sprang er auf die Dachschräge, die beide Häuser trennte,
     krachte auf die Ziegel, rutschte einen halben Meter hinab, bis ein Brett, das dort für die Schornsteinfeger angebracht war,
     seinen Sturz bremste. Er fing sich, rannte auf dem Brett bis zu dem Flachdach, das an die Schräge grenzte, sprang darauf,
     drehte sich um und bückte sich nach dem Brett. Mit einem kräftigen Ruck riss er es aus der Verankerung. Lautlos segelte die
     zentnerschwere, massive Holzplanke in den Hinterhof, fünf Stockwerke in die Tiefe, bevor sie hart in die Mülltonnen und Fahrradständer
     krachte. Der Schrei eines Mieters vermischte sich mit den elektronisch verstärkten Rufen der Polizisten, die zwischen den
     Mauern widerhallten.
    Flo blinzelte. Da sah er ihn wieder. David kletterte an den Stahlsprossen empor, die von dem Flachdach auf das höhergelegene
     Hauptdach des Nachbargebäudes führten. Gleichzeitig seilten die Polizisten einen Kollegen an, der ihm über die Dachschräge
     folgen sollte.
    Schon hatte David das Hauptdach des Nachbarhauses erreicht. Flos Augen tränten vom Rauch. Aber er konnte es deutlich erkennen.
     David war stehen geblieben und hatte sich umgedreht. Seine Hand kam aus einer Manteltasche hervor, sie umklammerte eine Pistole.
     Ein Schuss durchschnitt die Nacht.
    Stille.
    Tack. Tack. Tack. Tack.
    Viermal hatte er abgedrückt, dann rannte er weiter. Flo blickte zur Dachschräge. Der angeseilte Beamte war erstarrt, presste
     eine Hand in die Seite. David musste ihn getroffen haben. Jetzt verlor der Polizist den Halt, rutschte ab, ratterte die Dachschräge
     hinunter, knallte gegen das Schneegitter, riss es um, flog ins Leere.
    Die Kollegen, die das Seil hielten, warfen sich auf den Boden. Einen Moment lang starrten alle wie gelähmt auf den Mann, der
     in die Tiefe sauste. Dann straffte sich das Seil mit einem Knall. Der Mann schrie auf. Aber das Seil hielt.
    Flo riss sich hoch. Immer neue Polizisten kamen in schwerer Kampfausrüstung über das Dach des Seitenflügels gerannt. Sie trugen
     schwarze Waffen, und ihre Helme glänzten. »Bleiben Sie in Deckung«, herrschte einer ihn an, rannte weiter.
    Aber Flo wollte nicht in Deckung bleiben. Er wollte sehen, was mit David geschah. Er hastete den Seitenflügel Richtung Vorderhaus,
     Richtung Straße. Flo kannte das Nachbarhaus, er wusste, dass es an einer Durchfahrt stand. Dass David in eine Sackgasse hineingerannt
     war. Es waren nur drei Meter bis zum nächsten Gebäude. Mehr nicht. Drei Meter. Aber an denen führte kein Weg vorbei.
    Da sah er ihn wieder. David spurtete das Dach des Nachbarhauses entlang. Parallel zum Seitenflügel, auf dem sich Florian befand.
     Sein Mantel flog im Wind, der Widerschein starker Taschenlampen hatte ihn erfasst. Die Rufe der Polizisten hallten durchs
     Dunkel.
    Dann krachte ein Schuss. Lauter als vorher. An Davids Schulter spritzte etwas auf. Er stolperte, fing sich, rannte weiter.
     Sie mussten ihn getroffen haben.
    Flo erreichte das Vorderhaus, lief bis zur Dachkante, blieb vor dem Abgrund, der sich jäh vor ihm öffnete, stehen. Und sah
     zum Nachbarhaus. Dort rannte David, geduckt wie eine Katze.
    Plötzlich wusste Flo, was er tat. David nahm Anlauf. Er wollte es versuchen, er wollte über die Durchfahrt hinwegspringen.
     Früher hatten sie oft darüber gesprochen, ob man es nicht doch schaffen könnte. Drei Meter seien doch nicht unmöglich. Man
     würde es nur aus einem einzigen Grund nicht versuchen. Aus Angst davor, hinunterzustürzen. Am Boden würde man so einen Abstand
     ohne Weiteres schaffen –
    Da sprang David ab.
    Seine Beine ruderten in Kreisbewegungen durch die Luft, als würde er die Pedale eines unsichtbaren Fahrrads treten. Die Arme
     hatte er nach hinten gerissen.
    Flos Atem stand still.
    Die ganze Stadt schien für einen Augenblick den Atem anzuhalten.
    Es kam ihm so vor, als wende ihm David den Kopf zu. Als sehe er sein Gesicht, obwohl es doch dafür zu dunkel war –
    Da sah er, wie viel noch fehlte. Wie weit David vomDach auf der anderen Seite noch entfernt war. Dass er es nicht schaffen würde.
    Der Schrei, den David ausstieß, klang wie ein heiseres Stöhnen. Die Arme,
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