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David und Goliath

David und Goliath

Titel: David und Goliath
Autoren: Malcolm Gladwell
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feingliedriger Mann, der mit seinen gelassenen Bewegungen den Eindruck erweckt, als könnte ihn nichts aus der Ruhe bringen. Doch man sollte dies nicht mit Lässigkeit verwechseln: Die Ranadivés sind unermüdlich.
    Er wendet sich Craig zu. »Was war noch mal unser Schlachtruf?«
    Die beiden Männer denken einen Moment lang nach, dann rufen sie fröhlich und einstimmig: »One, two, three, ATTITUDE!«
    Auf die Einstellung kam es an. Die Philosophie der Mannschaft bestand in der Bereitschaft, mehr zu tun als alle anderen.
    »Als ein paar neue Mädchen dazugekommen sind, habe ich ihnen beim ersten Training gezeigt, was wir machen. Und ich habe ihnen gesagt: ›Es ist alles eine Frage der Einstellung.‹ Bei einer hatte ich mir ein bisschen Sorgen gemacht, dass sie die Sache mit der Einstellung vielleicht nicht versteht. Dann haben wir unseren Schlachtruf geübt, und sie hat gesagt: ›Es heißt nicht One, two, three, ATTITUDE!, Es heißt One, two, three, attitude, HA!‹«
    Ranadivé und Craig lachen laut.
4
    Im Januar   1971 traten die Rams, die Basketballmannschaft der Fordham University, gegen die Minutemen der University of Massachusetts an. Das Spiel fand im berüchtigten »Cage«, der Halle der University of Massachusetts, statt, in der die Minutemen seit Dezember   1969 kein einziges Spiel mehr verloren hatten. Der Star der Minutemen war kein Geringerer als Julius Erving, der legendäre Dr. J., der als einer der besten Basketballspieler aller Zeiten in die Geschichte eingehen sollte. Die Minutemen waren eine Ausnahmemannschaft. Die Rams waren dagegen ein zusammengewürfelter Haufen von Jungs aus Brooklyn und der Bronx. Ihr Center hatte sich in der ersten Woche der Saison eine Knieverletzung zugezogen, und ihr größter Spieler kam auf 1,95   Meter. Ihr wichtigster Stürmer war Charlie Yelverton mit 1,88   Meter. Doch vom Anpfiff weg begannen die Rams mit aggressivem Pressing und ließen keinen Moment lang nach. »Nachdem wir mit 13:6 in Führung gegangen waren, war Krieg«, erinnerte sich der damalige Rams-Trainer Digger Phelps. »Das waren zähe Jungs aus der Stadt. Wir haben über die gesamte Länge des Spielfelds gespielt. Wir haben gewusst, dass die anderen früher oder später einknicken würden.« Phelps schickte einen unermüdlichen irischen oder italienischen Knaben aus der Bronx nach dem anderen aufs Feld, um Erving zu decken, und einer nach dem anderen wurden diese Jungs nach Fouls vom Platz gestellt. Keiner konnte Erving das Wasser reichen. Aber das machte nichts. Die Rams gewannen mit 87:79.
    Im Basketball gibt es unzählige legendäre Spiele, in denen ein David mit Pressing einen Goliath niederrang. Trotzdem hat sich diese Taktik nie durchgesetzt. Was tat Digger Phelps nach seinem legendären Sieg über die Minutemen? Er ließ nie mehr so konsequent decken wie in diesem Spiel. Minutemen-Trainer Jack Leaman war in seiner eigenen Halle von einer Bande Straßenjungs gedemütigt worden – lernte er aus dieser Niederlage und wandte die Taktik an, als er das nächste Mal eine Underdog-Mannschaft aufs Feld schickte? Natürlich nicht. Ergebnisse wie der Sieg der Rams über die Minutemen werden gern als glückliche Siege abgetan. Basketballkenner warnen, dass das Pressingvon einer gut eingespielten Mannschaft mit geschickten Technikern und Pass-Spielern leicht ausgehebelt werden kann – das stimmt zwar, doch darum geht es nicht. Wer unkonventionell spielt, geht natürlich nicht automatisch als Sieger vom Platz. Ranadivé gab zu, dass die Gegner nur konsequentes Gegenpressing spielen mussten, um zu gewinnen: Seine Mädchen waren nicht gut genug, um ihre eigene Medizin zu verkraften. Aber einem Underdog bleibt gar nichts anderes übrig, wenn er gegen Goliath gewinnen will. Wenn die Rams mit einer konventionellen Taktik gegen die Minutemen gespielt hätten, dann hätten sie eine ordentliche Tracht Prügel bezogen. Man sollte meinen, dass unter diesen Umständen jede Mannschaft, die als Underdog aufs Feld geht, konsequent über das ganze Feld verteidigt. Warum tun sie es dann nicht einfach?
    Arreguín-Toft beobachtete dasselbe unerklärliche Phänomen. Wenn ein Underdog wie David kämpft, gewinnt er in den meisten Fällen. Doch die wenigsten Underdogs kämpfen wie David. Von den 202 ungleichen Kriegen, die Arreguín-Toft auswertete, ließen sich die Underdogs in 152   Fällen auf die Regeln Goliaths ein und verloren prompt 119   Mal. Im Jahr 1809 kämpften die Peruaner mit konventionellen Mitteln gegen
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