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David und Goliath

David und Goliath

Titel: David und Goliath
Autoren: Malcolm Gladwell
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war, von der Wüste her anzugreifen.
    Sir Reginald Wingate bezeichnete Lawrence’ Männer als »wüsten Haufen«. In seinen Augen waren die Türken in jeder Hinsicht im Vorteil. Natürlich ist es eine Stärke, über viele Soldaten, Waffen und Ressourcen zu verfügen. Doch es macht unbeweglich und zwingt zur Defensive. Beweglichkeit, Ausdauer, Intelligenz, Landeskenntnis und Mut, wie sie Lawrence’ Männer mitbrachten, machten jedoch das Unmögliche möglich – eine Strategie, die so gewagt war, dass die Türken sie von vornherein ausgeschlossen hatten. Natürlich hat es seine Vorteile, über materielle Ressourcen zu verfügen, doch es hat andere Vorteile, nicht über sie zu verfügen. Und wenn Underdogs so häufig die Oberhand behalten, dann liegt das daran, dass ihre Stärken denen der vermeintlich Mächtigen in jeder Hinsicht ebenbürtig sind. Lawrence von Arabien hatte das erkannt – genau wie Vivek Ranadivé mit seinem bunten Haufen von Mädchen aus Silicon Valley.
    Aus unerfindlichen Gründen fällt es uns schwer, diese Lektion zu schlucken. Wir haben sehr eingeschränkte Vorstellungen davon, was Stärken sind und was nicht; wir halten Eigenschaften für Stärken, die gar keine sind, und übersehen auf der anderen Seite tatsächliche Stärken. Im ersten Teil dieses Buchs sehen wir uns daher an, welche Folgen dieses Missverständnis hat. Warum nehmen wir beim Anblick eines Riesen automatisch an, dass er die Schlacht gewinnen wird? Was müssen wir tun, um zu erkennen, dass diese herkömmliche Sicht falsch sein könnte – wie David, Lawrence von Arabien, oder Vivek Randivé mit seinen Streberinnen aus Silicon Valley?
3
    Vivek Ranadivés Basketballmannschaft spielte für Redwood City in der Liga der Siebt- und Achtklässler. Die Mädchen trainierten in Paye’s Place, einer Halle im nahe gelegenen San Carlos. Da Ranadivé noch nie Basketball gespielt hatte, holte er sich ein paar Experten zur Unterstützung. Der erste war Roger Craig, ein ehemaliger Footballspieler, der in Ranadivés Softwarefirma angestellt war. 11 Dieser wiederum holte seine Tochter Rometra, die in der Basketballmannschaft ihrer Universität gespielt hatte. Rometra war eine hervorragende Manndeckerin, deren Aufgabe es gewesen war, die Spitzenstürmerinnen der gegnerischen Mannschaft auszuschalten. Die Mädchen liebten Rometra. »Sie war immer so etwas wie meine große Schwester«, erinnert sich Anjali Ranadivé. »Es war toll, sie dabei zu haben.«
    Die Strategie von Redwood City basierte auf zwei Zeitlimits, die jede Mannschaft beachten muss, um einen Angriff auszuführen. Das erste betrifft den Einwurf. Wenn eine Mannschaft einen Punkt erzielt, wirft eine Spielerin der anderen Mannschaft den Ball von der Grundlinie unter dem eigenen Korb ein und hat fünf Sekunden Zeit, ihn zu einer Mitspielerin zu passen. Braucht sie länger, bekommt die andere Mannschaft den Ball. In der Regel ist das kein Problem, denn die gegnerische Mannschaft stört die andere nicht beim Einwurf, sondern läuft nach einem Punktgewinn unter ihren Korb zurück und formiert dort die Deckung. Anders Redwood City. Jede Spielerin deckte ihre Gegenspielerin aggressiv. Beim Pressing stellen sich die Verteidiger normalerweise hinter die Angreifer, um sie zu stören, sobald sie einen Pass angenommen haben. Doch die Mädchen aus Redwood spielten eine aggressivere und riskantere Strategie. Sie stellen sich vor ihre Gegnerinnen, um den Pass abzufangen. Die Einwerferin deckten sie dagegen nicht. Warum auch? Damit hatte die Mannschaft immer eine Spielerin frei, die als zweite Verteidigerin die gefährlichste Angreiferin des Gegners decken konnte.
    »Denken Sie an Football«, sagt Ranadivé. »Der Quarterback kann mit dem Ball laufen. Er hat das gesamte Feld, aber es ist trotzdem verdammt schwierig, einen Pass an den Mann zu bringen.« Beim Basketball ist das noch schwieriger. Das Spielfeld ist kleiner, die Mannschaften spielen gegen das Fünf-Sekunden-Limit und der Ball ist größer und schwerer. Redwoods Gegnerinnen schafften es oft nicht, den Einwurf innerhalb von fünf Sekunden abzuschließen. Oder die Einwerferin verlor die Nerven, weil ihr die Zeit davonlief, und warf den Ball einfach ins Feld. Oder ihr Pass wurde von den Spielerinnen von Redwood abgefangen. Ranadivés Mädchen waren überall.
    Das zweite Zeitlimit verlangt, dass die angreifende Mannschaft den Ball innerhalb von zehn Sekunden in die gegnerische Hälfte bringt. Wenn es ihren Gegnerinnen gelang, die Hürde des
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