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David und Goliath

David und Goliath

Titel: David und Goliath
Autoren: Malcolm Gladwell
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der ihm den Schild wie einem Bogenschützen trägt? Und warum fordert er David auf, zu ihm zu kommen? Warum kann er nicht selbst zu David gehen? Die biblische Erzählung betont, dass Goliath sich deutlich schwerfälliger bewegt als David – eine merkwürdige Beschreibung für einen vermeintlich unbezwingbaren Helden. Und warum reagiert er nicht viel eher, als er David ohne Schild und Rüstung den Hang herunterlaufen sieht? Er scheint gar nicht zu bemerken, was um ihn herum vorgeht. Und schließlich diese seltsame Bemerkung über den Hirtenstab: »Bin ich denn ein Hund, dass du mit Stecken zu mir kommst?« Wieso »mit Stecken?« David hat doch nur einen einzigen Stock!
    Auf der Suche nach einer Erklärung für diese sonderbaren Verhaltensweisen haben Mediziner spekuliert, dass Goliath unter einer schweren Krankheit gelitten haben könnte: Er wirkt ganz wie jemand, der unter Akromegalie leidet. 7 Ursache dieser Erkrankung ist ein gutartiger Tumor an der Hirnanhangdrüse. Dieser Tumor ist keine Seltenheit undbewirkt eine Überproduktion des Wachstumshormons, was zu »Gigantismus« führen kann. Das würde zumindest Goliaths ungewöhnliche Größe erklären. (Robert Wadlow, der größte Mensch der Welt, litt übrigens ebenfalls unter Akromegalie. Bei seinem Tod maß er über 2,70   Meter und schien nicht mit dem Wachsen aufhören zu wollen.)
    Der Tumor an der Hirnanhangdrüse kann so groß werden, dass er auf den Sehnerv drückt. Daher leiden Menschen mit Akromegalie oft unter starken Sehbehinderungen oder sehen doppelt. Warum muss er von einem Begleiter ins Tal geführt werden? Weil er selbst kaum sehen kann. Warum bewegt er sich so schwerfällig? Weil er seine Umgebung nur verschwommen wahrnimmt. Warum braucht er so lange, um zu verstehen, dass sich David nicht an die Spielregeln hält? Weil er David gar nicht sieht, bis dieser schon fast vor ihm steht. »Komm nur her zu mir, ich werde dein Fleisch den Vögeln des Himmels und den wilden Tieren zum Fraß geben«, ruft er, und weist damit auf seine Verwundbarkeit hin: Du musst zu mir kommen, denn ich kann dich nicht sehen. Und dann der unerklärliche Ausruf: »Bin ich denn ein Hund, dass du mit Stecken zu mir kommst?« David hat nur einen Stab, doch Goliath sieht offenbar zwei.
    Was die Israeliten von ihrem fernen Hügel aus sehen, ist ein furchteinflößender Hüne. Doch in Wirklichkeit ist Goliaths Größe ein Hinweis auf seine größte Schwäche. Das ist eine wichtige Lektion für unsere Kämpfe mit allen möglichen Riesen. Die Starken und Mächtigen sind oft nicht das, was sie zu sein scheinen.
    Als David auf Goliath zustürmt, wird er von seinem Mut und seinem Glauben getragen. Ehe Goliath versteht, was passiert, liegt er auch schon am Boden – zu groß, zu langsam und zu kurzsichtig, um zu erkennen, wann sich das Blatt gewendet hat. Lange Zeit haben wir diese Geschichte falsch verstanden. Es wird Zeit, sie richtig zu erzählen.

TEIL 1
    Die Stärken der Schwachen
(und die Schwächen der Starken)

    Mancher stellt sich reich und hat doch nichts, ein anderer stellt sich arm und hat großen Besitz.
    Sprüche 13,7

KAPITEL 1
Vivek Ranadivé

    Es war irgendwie total schräg. Mein Vater hatte noch nie im Leben Basketball gespielt.
    Vivek Ranadivé 8
1
    Als Vivek Ranadivé beschloss, die Basketballmannschaft seiner Tochter Anjali zu trainieren, nahm er sich zwei Dinge vor. Erstens wollte er nie laut werden. Das Team bestand vor allem aus Mädchen im Alter von zwölf Jahren, und Zwölfjährige, das wusste er aus Erfahrung, mögen es überhaupt nicht, wenn man sie anschreit. Er würde sich am Spielfeldrand genauso verhalten wie in seiner Softwarefirma: Er würde ruhig und leise sprechen und die Mädchen von seinen Vorschlägen überzeugen, indem er an ihre Vernunft und ihren gesunden Menschenverstand appellierte.
    Sein zweiter Vorsatz war nicht weniger wichtig. Ranadivé verstand nämlich nicht, wie Amerikaner Basketball spielten. Er kam aus Mumbai und war mit Fußball und Cricket groß geworden. Als er zum ersten Mal ein Basketballspiel sah, kam es ihm völlig hirnlos vor. Mannschaft A machte einen Punkt und lief sofort zurück in ihre Hälfte des Spielfelds. Dann warfen sich die Spieler von Mannschaft B den Ball zu und dribbelten gemächlich in die gegnerische Hälfte, wo Mannschaft A bereits geduldig wartete. So ging es hin und her.
    Ein Basketballfeld ist 28   Meter lang. Die meiste Zeit verteidigte eine Mannschaft jedoch nur ein Viertel davon und überließ den
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