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DavBen-StaderDie

Titel: DavBen-StaderDie
Autoren: Unbekannt
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Schusswunde verunstaltete den Leichnam, kein versengtes Haar oder Leder, nirgends ein Anzeichen von Gewaltanwendung. Seine Haut war viel zu weiß für einen Lebenden, aber nichts hatte sie durchlöchert.
    »Er ist erfroren«, verkündete ich. Ich sagte es mit Bestimmtheit, weil ich wusste, dass es so war, und es nicht beweisen konnte. Der Flieger war mehrere Tausend Fuß über dem nächtlichen Leningrad mit dem Fallschirm abgesprungen. Unten auf dem Boden war es zu kalt für die Uniform, die er trug - droben in den Wolken, außerhalb seines warmen Cockpits, hatte er nicht die geringste Chance gehabt.
    Grischa erhob den Flachmann zu einem Toast. »Auf die Kälte!«
    Der Flachmann begann wieder zu kreisen. Bis zu mir kam er nicht mehr. Wir hätten den Motor des Autos schon zwei Blocks früher hören müssen, denn nach Beginn der Ausgangssperre war es in der Stadt so still wie auf dem Mond, aber wir waren mit unserem deutschen Schnaps und dem Ausbringen von Trinksprüchen beschäftigt. Erst als der GAZ in die Woinowa einbog, schwere Reifen über den Asphalt rumpelten, Scheinwerfer uns erfassten, erst da erkannten wir die Gefahr. Die Strafe für unerlaubtes Verstoßen gegen die Ausgangssperre war sofortige Exekution. Die Strafe für eigenmächtiges Entfernen von einem Feuerlöschtrupp war sofortige Exekution. Die Strafe für Plündern war sofortige Exekution. Die Gerichte waren nicht mehr tätig; die Polizeibeamten standen an der Front, die Gefängnisse waren halb leer und wurden immer leerer. Wer hatte schon Lebensmittel für einen Staatsfeind? Wenn man gegen das Gesetz verstieß und erwischt wurde, war man tot. Für juristische Feinheiten war keine Zeit.
    Also liefen wir weg. Wir kannten das Kirow besser als irgendjemand sonst. Wenn wir es über das Hoftor und in das eisige Dunkel des weitläufigen Gebäudes schafften, konnte uns kein Mensch mehr finden, und wenn er drei Monate lang suchte. Wir hörten die Soldaten brüllen, wir sollten stehen bleiben, aber das war uns egal; Stimmen machten uns keine Angst, im Gegensatz zu Kugeln, aber bis jetzt war noch kein Schuss gefallen. Grischa erreichte das Tor als Erster - er war noch der Sportlichste von uns -, sprang auf die eisernen Querstangen und zog sich hoch. Oleg war direkt hinter ihm, und ich war direkt hinter Oleg. Unsere Körper waren geschwächt, die Muskeln aufgrund des Proteinmangels geschrumpft, aber die Angst half uns, so schnell wie nur möglich das Tor hinaufzuklettern.
    Als ich schon fast oben war, blickte ich mich um und sah, dass Vera auf einer vereisten Stelle ausgerutscht war. Auf Händen und Knien starrte sie zu mir hoch, die Augen rund und voller Angst, als der GAZ neben der Leiche des deutschen Fliegers abbremste und vier Soldaten heraussprangen. Sie waren keine zwanzig Schritte entfernt, die Gewehre in der Hand, aber ich hatte immer noch Zeit, mich über das Tor zu hieven und im Kirow zu verschwinden.
    Ich wünschte, ich könnte dir sagen, dass mir nicht einen Moment lang der Gedanke kam, Vera im Stich zu lassen, dass meine Freundin in Gefahr war und ich ihr ohne zu zögern zu Hilfe eilte. Aber in Wahrheit hasste ich sie in diesem Augenblick. Ich hasste sie, weil sie zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt gestolpert war, mit panikerfüllten braunen Augen zu mir hochsah, mich zu ihrem Retter erkor, obwohl Grischa der Einzige war, den sie je geküsst hatte. Ich wusste, dass ich nicht mit der Erinnerung an diese mich anflehenden Augen leben konnte, und sie wusste es auch, und ich hasste sie selbst dann noch, als ich vom Tor heruntersprang, sie aufhob und zum Gitter zerrte. Ich war schwach, aber Vera kann keine vierzig Kilo gewogen haben. Ich schob sie von unten hoch, während die Soldaten brüllten und ihre Stiefelabsätze auf dem Pflaster knallten und die Schlagbolzen ihrer Gewehre einrasteten.
    Vera schaffte es über das Tor, und ich kletterte hinter ihr her, ohne mich um die Soldaten zu kümmern. Falls ich innehielt, würden sie mich umstellen, mir erklären, dass ich ein Staatsfeind bin, mich zwingen niederzuknien und mich von hinten mit einem Kopfschuss töten. Ich gab eine gute Zielscheibe ab, aber vielleicht waren sie betrunken, vielleicht waren sie Stadtkinder wie ich, die noch nie im Leben einen Schuss abgefeuert hatten; vielleicht würden sie absichtlich danebenschießen, weil sie wussten, dass ich ein Patriot und ein Verteidiger der Stadt war und mich nur deshalb aus dem Kirow geschlichen hatte, weil ein Deutscher aus siebentausend Metern Höhe
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