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DavBen-StaderDie

Titel: DavBen-StaderDie
Autoren: Unbekannt
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Öl mit dem Brot auf, das man auf Marken bekam. Brot auf Marken schmeckte nicht wie Brot. Es schmeckte nicht wie etwas Essbares. Nachdem die Deutschen die Badajew-Lagerhäuser bombardiert hatten, wurden die Bäcker der Stadt kreativ. Alles, was sich zu einem Teig verarbeiten ließ, ohne Menschen zu vergiften, wurde zu einem Teig verarbeitet. Die ganze Stadt hungerte, keiner hatte genug zu essen, und trotzdem verfluchte jeder dieses Brot, seinen Sägemehlge schmack, dass es in der Kälte steinhart wurde. Man konnte sich die Zähne ausbrechen, wenn man es zu kauen versuchte. Bis heute, wo ich selbst die Gesichter der Menschen, die ich liebte, vergessen habe, erinnere ich mich noch an den Geschmack dieses Brotes.
    Eine halbe Zwiebel und ein 125-Gramm-Laib Brot für vier - das war eine anständige Mahlzeit. Wir streckten uns, in Wolldecken gewickelt, auf dem Rücken aus, betrachteten die Flugabwehrballons, die an ihren langen Drahtseilen im Wind trieben, und hörten dem Metronom im Radio zu. Wenn es keine Musik zu spielen oder nichts Neues zu berichten gab, übertrug der Rundfunksender den Taktschlag eines Metronoms, dieses ununterbrochene Tick-Tick-Tick, das uns sagte, dass die Stadt noch nicht erobert war, dass die Faschisten noch draußen vor den Toren standen. Das Metronom im Radio war Piters schlagendes Herz, und die Deutschen brachten es nie zum Stillstand.
    Vera war diejenige, die den Mann entdeckte, der vom Himmel fiel. Sie schrie und deutete, und wir alle standen auf, um einen besseren Blick zu haben. Einer der Suchscheinwerfer beleuchtete einen Mann, der an einem Fallschirm auf die Stadt zuschwebte, der seidene Baldachin über ihm wie eine weiße Tulpenzwiebel.
    »Ein Fritz«, sagte Oleg Antokolski, und er hatte recht; wir konnten die graue Luftwaffenuniform erkennen. Woher kam er? Keiner von uns hatte das Geräusch eines Luftkampfes oder den Knall eines Flakgeschützes gehört. Seit knapp einer Stunde hatten wir keinen Bomber mehr über uns hinwegfliegen hören.
    »Vielleicht hat's angefangen«, sagte Vera. Seit Wochen hörten wir Gerüchte, die Deutschen planten den massiven Einsatz von Fallschirmjägern, einen letzten Sturmangriff, um den elenden Stachel namens Leningrad aus dem Rücken ihrer auf dem Vormarsch befindlichen Armee zu ziehen. Jeden Augenblick rechneten wir damit, bei einem Blick nach oben Tausende von Nazis auf die Stadt herabsegeln zu sehen, ein Schneegestöber von weißen Fallschirmen, die den Himmel verdeckten, doch Dutzende von Suchscheinwerfern durchschnitten die Dunkelheit und spürten keine weiteren Feinde auf. Da war nur dieser eine, und die Schlaffheit des in den Fallschirmgurten hängenden Körpers ließ darauf schließen, dass er bereits tot war.
    Wir verfolgten, wie er herabschwebte, festgehalten im Scheinwerferlicht, tief genug, um sehen zu können, dass einer seiner schwarzen Stiefel fehlte.
    »Er kommt auf uns zu«, sagte ich. Der Wind blies ihn in Richtung unserer Straße, der Woinowa Uliza. Die Zwillinge sahen sich an.
    »Luger«, sagte Oleg.
    »Die Luftwaffe hat keine Luger«, sagte Grischa. Er war fünf Minuten älter und der Experte für Nazi-Waffen. »Walther PPK.«
    Vera lächelte mich an. »Deutsche Schokolade.«
    Wir rannten zur Tür, die ins Treppenhaus führte, ließen unsere Feuerlöschgerätsch aften stehen und liegen und has teten die stockdunkle Treppe hinunter. Was ausgesprochen dumm von uns war. Ein falscher Schritt auf den Betonstufen, ohne Fett oder Muskeln am Leib, um den Sturz zu dämpfen, bedeutete einen Knochenbruch, und ein Knochenbruch bedeutete den Tod. Doch das scherte keinen von uns. Wir waren sehr jung, und soeben fiel ein toter Deutscher auf die Woinowa, brachte Gaben aus dem Reich.
    Wir liefen durch den Hof und kletterten über das zugesperrte Hoftor. Alle Straßenlaternen waren aus. Die ganze Stadt war dunkel - teils, um den Bombern die Arbeit zu erschweren, und teils, weil fast die gesamte Elektrizität in die Munitionsfabriken umgeleitet wurde -, aber der Mond schien hell genug, dass wir etwas sehen konnten. Sechs Stunden nach Beginn der Ausgangssperre war die Woinowa einsam und verlassen. Kein Auto in Sicht. Nur Militär und Behörden hatten Zugang zu Treibstoff, und alle Privatfahrzeuge waren schon in den ersten Kriegsmonaten requiriert worden. Die Schaufenster waren kreuzförmig mit Papierstreifen beklebt, was sie, wie uns das Radio verkündete, nicht so leicht zersplittern ließ. Vielleicht stimmte es, obwohl ich in Leningrad an vielen
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