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DavBen-StaderDie

Titel: DavBen-StaderDie
Autoren: Unbekannt
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bereits einen Platz im dezimierten Orchester der Stadt ergattert und behielt ihn dreißig Jahre lang. Die Zwillinge kämpften beide mit Auszeichnung in General Tschujkows Achter Gardearmee und kamen bis nach Berlin. Es gibt ein berühmtes Foto, auf dem einer von ihnen seinen Namen an die Wand des Reichstags schreibt, aber ich kann dir nicht sagen, ob es Oleg oder Grischa war. Von allen Kirow-Kindern aus dem fünften Stock habe vermutlich ich am wenigsten erreicht.
    Im Sommer 1945 lebte ich mit zwei anderen jungen Journalisten in einer großen Wohnung in der Nähe des Moskauer Bahnhofs. Die Evakuierten waren inzwischen nach Piter zurückgekehrt, einschließlich meiner Mutter und meiner Schwester, doch es gab noch immer wesentlich weniger Menschen in der Stadt als vor dem Krieg. Es hieß, das Wasser aus der Newa schmecke noch immer nach Leichen. Kleine Buben rannten wieder, ihre Ranzen schwingend, von der Schule nach Hause. Die Restaurants und Geschäfte auf dem Newski-Prospekt hatten wieder geöffnet, obwohl fast niemand Geld hatte. An staatlichen Feiertagen schlenderten wir dort alle auf und ab, starrten durch die neuen Spiegelglasfenster auf die Marzipan-Leckereien und Armbanduhren und Lederhandschuhe. Diejenigen von uns, die die Belagerung miterlebt hatten, blieben aus alter Gewohnheit auf dem südlichen Bürgersteig, obwohl seit knapp zwei Jahren keine Granaten mehr eingeschlagen hatten.
    An einem kühlen Augustabend, als der Nordwind aus Finnland den Duft von Kiefernnadeln mitbrachte, saß ich allein am Küchentisch meiner Wohnung und las eine Geschichte von Jack London. Meine Mitbewohner waren ins Puschkin-Theater gegangen, um sich ein neues Stück anzuschauen; sie hatten mich eingeladen mitzukommen, aber es gab keinen zeitgenössischen russischen Bühnenautor, den ich so sehr mochte wie Jack London. Als ich die Geschichte gelesen hatte, beschloss ich, noch einmal von vorn zu beginnen, diesmal um dahinterzukommen, wie sie geschrieben war. Back gehörte nicht zu denen, die täglich ihre Zeitung lesen, sonst hätte er gewusst, dass Unheil im Gange war...
    Ich blickte nicht auf, als es zum ersten Mal an der Tür klopfte. Der Junge, der einige Türen weiter wohnte, vergnügte sich fast jeden Abend damit, im Flur auf und ab zu rennen und an jede Tür zu hämmern. Alle, die ich kannte, würden ohnehin unaufgefordert eintreten - das Schloss war kaputt, und wir hatten selten Besuch. Das dritte Klopfen brach Jack Londons Bann. Leicht verärgert legte ich das Buch auf den Küchentisch und ging hinaus, um den Jungen auszuschimpfen.
    Im Flur stand eine junge Frau, einen Koffer zu ihren Füßen, einen Karton in beiden Händen. Sie trug ein gelbes Baumwollkleid, das mit weißen Blumen bedruckt war. Die silberne Libelle an ihrer Halskette hing genau in der Kuhle ihres Schlüsselbeins, und ihr dichtes rotes Haar fiel kaskadenartig über ihre sonnenverbrannten Schultern herab. Sie wird dir weismachen, dass sie dieses Kleid nicht mit Bedacht gewählt hatte, so wenig wie die Halskette, dass sie sich nicht die Haare gewaschen oder das Gesicht geschrubbt oder etwas Lippenstift aufgelegt hatte. Glaub ihr kein Wort. So gut sieht niemand rein zufällig aus.
    Sie grinste mich an, mit diesem rasend machenden Kräuseln der Lippen, das eher einem Feixen als einem Lächeln glich, während ihre blauen Augen in meine blickten, um festzustellen, ob ich sie wiedererkannte. Wenn ich auf dem Gebiet etwas besser wäre, hätte ich mich vielleicht dumm gestellt oder vielleicht gesagt: »Hallo, suchen Sie jemand?«
    »Du bist nicht mehr so mager wie früher«, sagte sie. »Aber trotzdem noch zu mager.«
    »Du hast ja Haare«, erwiderte ich und wünschte mir auf der Stelle, ich könnte es zurücknehmen. Dreieinhalb Jahre lang hatte ich von ihr geträumt - in ihrem viel zu großen Tarnanzug war sie buchstäblich durch jeden zweiten Traum gestapft, an den ich mich erinnerte -, und alles, was mir einfiel, als sie endlich vor mir stand, war: Du hast j a Haare.
    »Ich habe dir etwas mitgebracht«, sagte sie. »Schau mal, was sie jetzt wieder erfunden haben.«
    Sie klappte den Deckel des Kartons auf. Drinnen lagen zwölf Eier, jedes sicher verstaut in seiner eigenen Vertiefung. Weiße Eier, braune Eier und eines, das gesprenkelt war wie die Hand eines alten Mannes. Sie machte den Deckel zu und wieder auf, freute sich über die unkomplizierte und praktische Erfindung.
    »Viel besser, als sie in Stroh zu packen«, ergänzte sie.
    »Wir könnten ein Omelett
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