Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

DavBen-StaderDie

Titel: DavBen-StaderDie
Autoren: Unbekannt
Vom Netzwerk:
keine Angst vor Kriminalität. Die Haustür ist für gewöhnlich unverschlossen, und sie haben auch keine Alarmanlage. Sie tragen im Auto keine Sicherheitsgurte; sie tragen in der Sonne kein Sonnenöl auf. Sie haben beschlossen, dass nichts außer Gott selbst sie umbringen kann, und dabei glauben sie nicht einmal an ihn.
    Ich lebe in Los Angeles und schreibe Drehbücher über mutierende Superhelden. Vor zwei Jahren wurde ich gebeten, einen autobiografischen Essay für eine Fachzeitschrift der Drehbuchautoren zu schreiben, und mitten in der Arbeit wurde mir klar, dass ich ein äußerst eintöniges Leben geführt hatte. Nicht, dass ich mich beklagen will. Selbst wenn sich das Resümee meines Daseins langweilig liest - Schule, College, Gelegenheitsjobs, Universität, Gelegenheitsjobs, wieder Universität, mutierende Superhelden -, so war es doch schön, auf der Welt zu sein. Aber als ich mich mit dem Essay herumschlug, stellte ich fest, dass ich keine Lust hatte, über mein eigenes Leben zu schreiben, nicht einmal fünfhundert Wörter lang. Ich wollte über Leningrad schreiben.
    Meine Großeltern holten mich in Sarasota am Flughafen ab; ich bückte mich, um ihnen einen Kuss zu geben, und sie lächelten zu mir hoch, in Anwesenheit ihres hünenhaften amerikanischen Enkels (mit einem Meter achtundachtzig bin ich tatsächlich ein Hüne neben ihnen) wie immer leicht verwirrt. Auf dem Heimweg kauften wir auf dem örtlichen Fischmarkt eine Makrele; mein Großvater grillte sie mit nichts weiter als Butter, Salz und frischer Zitrone. Wie jedes Gericht, das er zubereitete, schien es unglaublich einfach zu sein, brauchte nur zehn Minuten und schmeckte besser als alles, was ich in dem Jahr in L. A. gegessen hatte. Meine Großmutter kocht nicht; sie ist in unserer Familie berühmt für ihre Weigerung, etwas Komplizierteres zuzubereiten als einen Teller Cornflakes.
    Nach dem Abendessen zündete sich meine Großmutter eine Zigarette an, und mein Großvater schenkte drei Gläser selbst gemachten S chwa rze-Johannisbeeren-Wodka ein. Wir hörten dem Chor der Zikaden und Grillen zu, blickten hinaus auf den schwarzen Golf und schlugen nach vereinzelten Moskitos.
    »Ich habe ein Tonbandgerät mitgebracht. Ich dachte, wir könnten vielleicht über den Krieg reden.«
    Ich glaubte zu sehen, dass meine Großmutter kurz die Augen verdrehte, während sie Zigarettenasche ins Gras schnippte.
    »Was?«
    »Du bist vierzig Jahre alt. Auf einmal interessiert dich das?«
    »Ich bin vierunddreißig.« Ich schaute meinen Großvater an, und er lächelte mich an. »Was ist los? Wart ihr Nazis? Wollt ihr eure Nazi-Vergangenheit verheimlichen?«
    »Nein«, sagte er, noch immer lächelnd. »Wir waren keine Nazis.«
    »Hast du wirklich gedacht, ich sei vierzig?«
    »Vierunddreißig, vierzig ...« Sie stieß ihr übliches Pscha aus, ein Geräusch, das immer von einer verächtlichen Handbewegung begleitet war, mit der sie derartige Beschränktheit abtat. »Und wenn schon. Heirate endlich. Such dir eine Frau.«
    »Du redest wie alle Großmütter in Florida.«
    »Ha«, sagte sie, ein wenig verletzt.
    »Ich will ja nur wissen, wie das damals war. Was ist daran so schlimm?«
    Sie nickte meinem Großvater zu, während sie mit der brennenden Zigarette auf mich deutete.
    »Er will wissen, wie es war.«
    »Schätzchen«, sagte mein Großvater. Nur das, nichts weiter, aber meine Großmutter nickte und drückte ihre Zigarette auf dem Glastisch aus.
    »Du hast recht«, sagte sie zu mir. »Wenn du über den Krieg schreiben willst, dann tu's.«
    Sie stand auf, küsste mich auf den Scheitel, küsste meinen Großvater auf den Mund und trug das Geschirr ins Haus. Einige Minuten saßen wir schweigend da, hörten den sich brechenden Wellen zu. Er schenkte uns Wodka nach, freute sich, dass ich mein Glas geleert hatte.
    »Hast du eine Freundin?«
    »Mhm.«
    »Die Schauspielerin?« »Ja.«
    »Ich mag sie.« »Ich weiß.«
    »Sie könnte fast eine Russin sein«, sagte er. »Sie hat die Augen ... Wenn du über Leningrad sprechen willst, dann sprechen wir über Leningrad.«
    »Ich will nicht darüber sprechen. Ich möchte, dass du darüber sprichst.«
    »Okay, dann spreche ich darüber. Morgen?«
    Er hielt Wort. Während der folgenden Woche saßen wir jeden Tag auf der Terrasse, und ich nahm seine Geschichten auf. Einige Stunden am Vormittag, gefolgt von einer Mittagspause, und dann wieder am Nachmittag - mein Großvater, ein Mann, der es hasste, mehr als zwei Sätze hintereinander in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher