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DavBen-StaderDie

Titel: DavBen-StaderDie
Autoren: Unbekannt
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Augen auf, diese hellblauen Kosakenaugen, und lächelte mich an. Wir wussten beide, dass er sterben würde. Er lag zitternd unter seinem Militärmantel auf dem Rücksitz, die Zähne sehr weiß hinter den blauen Lippen. Ich bin überzeugt, dass dieses Lächeln ein Geschenk für mich war. Kolja glaubte nicht an Gott oder ein Leben nach dem Tod; er glaubte nicht, dass eine bessere Welt oder überhaupt etwas auf ihn wartete. Ihn würden keine Engel in Empfang nehmen. Er lächelte, weil er wusste, welch furchtbare Angst ich vor dem Sterben hatte. Davon bin ich fest überzeugt. Er wusste, welch furchtbare Angst ich hatte, und wollte es mir ein wenig leichter machen.
    »Das darf doch nicht wahr sein! In den Hintern geschossen von den eigenen Leuten.«
    Ich wollte etwas sagen, einen dummen Spruch anbringen, um ihn abzulenken. Ich hätte etwas sagen sollen, ich wünschte, ich hätte etwas gesagt, auch wenn ich bis heute nicht weiß, was die richtigen Worte gewesen wären. Wenn ich ihm gesagt hätte, dass ich ihn liebe, hätte er mir zugezwinkert und gesagt: »Kein Wunder, dass du die Hand auf meinem Hintern hast.«
    Selbst Kolja konnte dieses Lächeln nicht lange aushalten. Er schloss wieder die Augen. Als er sprach, war sein Mund sehr trocken, und er brachte die Worte kaum über die zusammenklebenden Lippen.
    »So hatte ich mir das nicht vorgestellt«, erklärte er mir.
    26
    Offiziere in Uniform und Zivilisten mit strenger Miene eilten in die Villa auf der Kamenny-Insel und hasteten heraus, drängten durch die Eingangstür unter dem Portikus mit den weißen Säulen. Hinter dem alten Herrenhaus lag die gewundene Newa, zugefroren und mit Schnee gezuckert, eine weiße Schlange, die sich durch die zerstörte Stadt ringelte.
    Der kahle Leutnant eskortierte mich zu einem der MG-Nester vor der Villa, wo eine Gruppe Soldaten hinter aufgestapelten Sandsäcken saß und aus Blechtassen dünnen Tee trank. Der diensthabende Feldwebel las das Schreiben des Obersts, sah mich flüchtig an und sagte: »Hast du was für ihn?«
    Ich nickte, und er bedeutete mir, ihm zu folgen. Der Leutnant machte kehrt und ging, ohne sich noch einmal umzublicken, konnte es kaum erwarten, diesen Morgen hinter sich zu lassen, der so verhängnisvoll für ihn verlaufen war.
    Wir fanden Gretschko schließlich unten im Weinkeller der Villa. Die Flaschen mit großen alten Weinen waren alle längst geleert, aber die wabenartigen Terrakottaregale an den Wänden waren noch da. Der Oberst stand neben einem seiner untergebenen Offiziere, der Posten auf einer Liste abhakte. Junge Soldaten mit Brechstangen öffneten Holzkisten. Sie tauchten die Arme in die Papierschnipsel, die den Inhalt schützten, zogen Konservendosen und Einmachgläser und Jutesäckchen heraus und meldeten, was sie enthielten.
    »Zwei Kilo Räucherschinken.«
    »Fünfhundert Gramm schwarzer Kaviar.«
    »Ein Kilo Rindfleisch in Aspik.«
    »Knoblauch und Zwiebeln ... keine Gewichtsangabe.«
    »Ein Kilo weißer Zucker.«
    »Ein Kilo Salzhering.«
    »Gekochte Zunge, keine Gewichtsangabe.«
    Eine volle Minute stand ich da und sah zu, wie sich die Lebensmittel immer höher stapelten, die ganzen Zutaten für ein legendäres Fest. Karotten und Kartoffeln, gerupfte Hühner und Gläser mit Sauerrahm, Weizenmehl, Honig, Erdbeerkonfitüre, Krüge mit vergorenem Kirschsaft, eingedöste Pilze, dicke Butterklumpen in Wachspapier, eine Zweihundert-Gramm-Tafel Schweizer Schokolade.
    Der Feldwebel, der mich begleitete, flüsterte dem neben Gretschko stehenden Offizier etwas zu. Der Oberst hörte es und drehte sich zu mir um. Er runzelte kurz die Stirn, auf der sich tiefe Falten bildeten, konnte mich nicht gleich unterbringen.
    »Ach ja«, sagte er, und das seltsame, wunderschöne Lächeln erschien. »Der Plünderer! Wo ist dein Freund, der Deserteur?«
    Ich weiß nicht, wie mein Gesicht auf diese Frage reagierte, aber der Oberst sah und verstand.
    »Schade«, sagte er. »Ich mochte den Burschen.«
    Er wartete auf etwas von mir, und geraume Zeit konnte ich mich nicht erinnern, warum ich hier war. Als es mir wieder einfiel, knöpfte ich den Mantel auf, zog die mit Stroh ausgestopfte Spanschachtel unter meinem Pullover hervor und gab sie ihm.
    »Ein Dutzend Eier«, teilte ich ihm mit.
    »Wunderbar, wunderbar.« Er reichte die Schachtel seinem Handlanger, ohne sie anzuschauen, und deutete auf die Delikatessen, die sich auf dem Steinboden häuften. »Einiges davon habe ich letzte Nacht einfliegen lassen. Gerade noch
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