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DavBen-StaderDie

Titel: DavBen-StaderDie
Autoren: Unbekannt
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Freund ... Nun, ich will nicht zu viel verraten. Aber ich muss sagen, dass es mir wie eine Fügung des Schicksals erschien, als sie mich hierher brachten. Ich war schon an jedem Ort, den Radtschenko besucht hat - in jedem Restaurant und Theater und Friedhof, jedenfalls in denen, die es noch gibt -, bloß hier drinnen war ich noch nie. Ein Kritiker könnte argumentieren, dass man Radtschenko nur verstehen kann, wenn man eine Nacht im Kresty verbracht hat.«
    »Dann hast du ja Glück gehabt.«
    »Mhm.«
    »Meinst du, dass sie uns morgen früh erschießen?«
    »Das bezweifle ich. Die bewahren uns doch nicht über Nacht auf, nur um uns morgen zu erschießen.« Er klang so unbekümmert, als sprächen wir über ein Sportereignis, als wäre das Ergebnis ohne große Bedeutung, egal, wie das Ganze ausging.
    »Ich habe seit acht Tagen nicht scheißen müssen«, sagte er. »Ich rede nicht von anständig scheißen können - es ist Monate her, dass ich anständig scheißen konnte -, sondern davon, dass ich seit acht Tagen überhaupt nicht geschissen habe.«
    Wir schwiegen eine Weile, dachten über die Sache nach.
    »Wie lange, glaubst du, hält es ein Mensch aus, ohne zu scheißen?«
    Das war eine interessante Frage, und ich hätte die Antwort darauf selbst gern gewusst, konnte ihm aber keine geben. Ich hörte, wie er sich hinlegte, hörte ihn selig gähnen, entspannt und zufrieden, als wäre seine vollgepisste Strohmatratze so behaglich wie ein Federbett. Eine Minute lang herrschte Stille, und ich dachte schon, mein Zellengenosse sei eingeschlafen.
    »Die Wände hier müssen über einen Meter dick sein«, sagte er schließlich. »Das ist vermutlich der sicherste Ort, an dem man in Piter übernachten kann.« Und dann schlief er tatsächlich ein, wechselte so abrupt vom Sprechen zum Schnarchen, dass ich zuerst dachte, er tue nur so.
    Ich habe Menschen, die mühelos einschlafen, immer beneidet. Bestimmt ist ihr Gehirn sauberer, der Fußboden ihres Schädels ordentlich gefegt, und all die kleinen Störenfriede sind in einem Überseekoffer am Fußende des Bettes eingesperrt. Ich selbst leide seit meiner Geburt an Schlaflosigkeit und werde bis zu meinem Tod daran leiden, Zigtausend Stunden damit vergeuden, mich nach Bewusstlosigkeit zu sehnen, mich nach einem Gummihammer zu sehnen, der mir eins auf den Schädel gibt, nicht heftig genug, um Schaden an zurichten, nur ein tüchtiger Schlag, der mich für die Nacht außer Gefecht setzt. Doch in jener Nacht hatte ich keine Chance. Ich starrte in die Schwärze, bis die Schwärze zu Grau verschwamm, bis die Decke über mir Gestalt anzunehmen begann und von Osten her Helligkeit durch das schmale vergitterte Fenster einsickerte, das tatsächlich da war. Erst da fiel mir ein, dass noch immer ein deutsches Messer um meine Wade geschnallt war.
    3
    Eine Stunde nach Tagesanbruch öffneten zwei andere Wärter die Zellentür, scheuchten uns aus dem Bett und legten uns Handschellen an. Sie ignorierten meine Fragen, schienen sich aber zu amüsieren, als Kolja eine Tasse Tee und ein Omelett bestellte. Witze müssen im Kresty Mangelware gewesen sein, denn so gut war der Witz auch wieder nicht, aber die Wärter grinsten, während sie uns durch den Korridor stießen. Irgendwo stöhnte jemand, schwach und unablässig, was sich anhörte wie eine Schiffssirene in weiter Ferne.
    Ich wusste nicht, ob wir zum Galgen oder zu einem Verhör geführt wurden. Die Nacht war ohne Schlaf verstrichen; abgesehen von einem Schluck aus dem Flachmann des Deutschen, hatte es seit dem Dach des Kirow nichts zu trinken gegeben; auf meiner Stirn hatte sich dort, wo ich gegen die Decke geknallt war, eine Beule von der Größe einer Säuglingsfaust gebildet - es war kein guter Morgen, genauer gesagt einer meiner schlimmsten -, aber ich wollte leben. Ich wollte leben, und ich wusste, dass ich außerstande war, meiner Hinrichtung mit Anstand zu begegnen. Ich würde vor dem Henker oder dem Exekutionskommando auf die Knie fallen und meine Jugend ins Feld führen, die vielen Stunden aufzählen, die ich auf dem Dach gedient und auf die Bomben gewartet hatte, die ganzen Barrikaden, die ich zu errichten geholfen hatte, die Gräben, die ich ausgehoben hatte. Wir alle hatten das getan, wir alle dienten der gerechten Sache, aber ich war einer von Piters wahren Söhnen und ich hatte es nicht verdient zu sterben. Was war denn schon Schlimmes passiert? Wir hatten den Kognak eines toten Deutschen getrunken - und dafür wollt ihr mir den Garaus
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