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Das zweite Leben

Das zweite Leben

Titel: Das zweite Leben
Autoren: James White
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aussah.
    »Er war ein fröhlicher und lebensfroher Mann«, murmelte Barclay. »So wie hier sah ich ihn fast nie. Natürlich war er manchmal streng und schlecht gelaunt wie jeder Mensch, aber er hatte sich immer unter Kontrolle.« Fast wie zu seiner Verteidigung fügte Barclay hinzu: »Er war ausgeglichen, und ich will einfach nicht glauben, daß er die Kontrolle über sich verlieren konnte und in einem solchen Augenblick in ein Flugzeug stieg und aufs Meer hinausflog, ohne genügend Treibstoff zu haben.«
    »Wie war das Verhältnis zwischen Ihrer Mutter und ihm?« wollte Conlon wissen. »Gut? Seien Sie objektiv!«
    »Wie kann ich objektiv sein, wenn es um meine Familie geht?« fragte Barclay, ohne seine Verwirrung verbergen zu können. »Sie waren meine Eltern, und ich denke, sie waren sehr glücklich.«
    »Reden wir von Ihren Zweifeln, den Tod Ihres Vaters betreffend.«
    »Die Art und Weise, wie er gestorben sein soll«, korrigierte Barclay. »Als ich achtzehn war, hatte ich mich fast schon damit abgefunden, ebenso wie meine Mutter. Aber dann merkte ich, daß einige Leute, etwa Dr. Goyer, aber auch andere, uns etwas verheimlichten.«
    Conlon räusperte sich.
    »Damals besaßen Ihre Mutter und Sie viele Sympathien unter den Mitgliedern des Raumfahrtzentrums, wie ich aus meinen Unterlagen ersehe, wenn sie auch unvollständig sind. Diese schwanden aber, nachdem Sie alle möglichen Leute jahrelang mit Ihren Fragen gepeinigt hatten. Sie verloren Ihre Freunde, zuerst Dr. Goyer, den Technischen Direktor, der immer ein Freund der Familie und zudem Ihr Patenonkel gewesen war. Er besuchte Sie nicht mehr und weigerte sich schließlich sogar, Sie im Raumfahrtzentrum zu empfangen.«
    Barclay nickte grimmig. Conlon fuhr fort:
    »Als das Zentrum für Sie gesperrt war, begannen Sie, den örtlichen Polizeibehörden auf die Nerven zu fallen. Überall, wo Sie hinkamen, gaben Sie Ihren Vater als vermißte Person an und legten Photos, die ihn ohne Uniform zeigten, vor, wobei Sie jedesmal einen anderen Namen des angeblich Vermißten angaben. Erst vier Jahre später kam man dahinter, daß die Polizei im ganzen Land ein und denselben Mann unter verschiedenen Namen suchte. Die Behörden machten einem der Staatssicherheitsdienste Meldung, und man lud Sie vor, mit dem Ergebnis, daß Sie bald niemand mehr ernstnahm. Dann starb Ihre Mutter, und plötzlich schienen Sie das Interesse, Detektiv zu spielen, verloren zu haben.« Conlon beugte sich vor und sah Barclay durchdringend an. »Besteht da ein Zusammenhang? Ah, ich sehe, daß ich einen wunden Punkt angesprochen habe …«
    Und niemand hat das Recht, danach zu fragen! dachte Barclay wütend. Laut sagte er: »Ich will einfach wissen, was wirklich mit meinem Vater geschah. Was interessiert es Sie, wie ich und meine Mutter miteinander auskamen?«
    »Mir scheint, daß sie nicht ganz unbeteiligt an Ihren fixen Ideen war«, antwortete Conlon kühl. »Es liegt fünfzig Jahre zurück, und wir sollten imstande sein, vernünftig darüber zu reden. Es hat sich einiges getan, und mir liegt daran, alles über Sie und Ihren Fall zu erfahren, um eine Entscheidung treffen zu können.«
    »Eine Entscheidung oder ein Urteil?« fragte Barclay unsicher.
    »Machen Sie sich darüber keine Gedanken, Bürger«, sagte Conlon lächelnd, »und beantworten Sie die Frage.«
    Barclay fragte sich, womit er dieses Verhör verdient hatte. All seine Bemühungen, selbst während der Schlechten Jahre, hatten sich im Rahmen des Erlaubten gehalten. Also gut, dachte er, und versuchte, die aufkommende Angst zu verdrängen. Er beschrieb, wie seine Mutter auf den Tod ihres Mannes reagiert hatte. Zuerst wollte sie nicht daran glauben. Der Leichnam war nie gefunden worden. Hätte er sie jedoch nicht beeinflußt, so hätte sie wahrscheinlich wieder geheiratet, vermutlich sogar Dr. Goyer. Goyer war noch relativ jung gewesen, nur die randlose Brille ließ ihn alt aussehen. Barclay hatte ihn, obwohl er ihn mochte, der Lüge beschuldigt, und Goyers Besuche blieben fortan aus. Barclays Mutter hätte ihn immer noch heiraten können, doch offensichtlich war sie im Glauben gewesen, daß ihr Sohn zerbrechen würde, falls auch sie sich vom Tod ihres Mannes überzeugt zeigte. Deshalb ließ sie ihm die Illusion, daß sein Vater noch leben könnte und vergraulte Goyer endgültig. Doch im Lauf der Jahre führte dies so weit, daß sie nachts schreiend aufwachte. Sie begann ebenso wie er fest daran zu glauben, daß sie beide von allen Seiten belogen
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