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Das zweite Leben

Das zweite Leben

Titel: Das zweite Leben
Autoren: James White
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…« Seufzend griff der aus dem Tiefschlaf Erwachte nach der nächsten Konserve. Die Büchse explodierte unmittelbar vor seinem Gesicht.
    Mehrere Dinge geschahen zugleich. Ross warf sich schreiend zurück, als die heiße, diesmal übelriechende Flüssigkeit in sein Gesicht und auf die Brust spritzte. Die Muskeln schienen auseinanderreißen zu wollen. Ross verlor den Halt und glitt zur Seite. Der Gurt hielt sein Gewicht für Sekunden, dann riß er. Ross landete auf dem Schaumgummiteppich und brach zusammen.
    Der Schmerz war schlimmer als alles, was er jemals erlebt hatte. Der letzte Rest Benommenheit verschwand augenblicklich.
    Ross wußte nun, daß dies kein Scherz war. Er sah jetzt den kleinen Lautsprecher hinter Beethovens Kopf. Ein dünnes Kabel führte zu einem Loch in der Wand und verschwand darin.
    Wieder sah er verschwommene Bilder des sich wiederholenden Alptraums, wie er in einem Metallkäfig zu sich kam und von stählernen Armen erdrückt zu werden drohte.
    Diesmal war alles ganz anders. Doch Ross konnte keine rechte Erleichterung darüber empfinden.
    Wenn seine Kommilitonen nicht hinter dem makabren Spiel steckten, wenn sie ihm nicht mit einem sprechenden Beethoven und Stinkbomben einen Streich spielen wollten – was ging dann im Hospital vor?
     
2.
     
    Der erste atomare Krieg war fünfzig Jahre vor Ross’ Geburt ausgebrochen. Ausgelöst durch Fehlfunktionen einiger Frühwarnsysteme, hatte er drei Wochen lang getobt, bis die Fehler beseitigt werden konnten und alle Parteien der Feuereinstellung zustimmten. Weitere drei Wochen Krieg hätten genügt, um die Erde vollständig zu zerstören und alles Leben zu vernichten, doch so überlebte jeder zehnte Mensch. Die Zivilisation war nicht zusammengebrochen. Die Wissenschaft hatte sogar einen nie gekannten Aufschwung genommen. Auf allen Gebieten waren Fortschritte gemacht worden; niemand brauchte mehr Arbeitslosigkeit zu fürchten, und sämtliche Industrien waren bald vollständig automatisiert. Utopia schien Wirklichkeit zu werden.
    Die Menschen begannen, ihre Wohnungen unter der Erde zu bauen. Die Schrecken des Krieges waren nicht vergessen, und doch wurde ebenso intensiv an der Verbesserung bestehender nuklearer Waffensysteme gearbeitet wie an Projekten, die dem Wohl der Menschheit dienten.
    Ross hatte nie eine überbevölkerte Welt gekannt und war froh darüber gewesen, nicht in einer solchen Periode, wie er sie nur vom Hörensagen her kannte, leben zu müssen und statt dessen einen Arbeitstag von drei Stunden haben zu können – bis sich herausstellte, daß die Folgen des Krieges schlimmer waren, als man angenommen hatte.
    Die Unfruchtbarkeit bei Männern und Frauen überstieg die Vierzig-Prozent-Marke und nahm weiter zu. Immer weniger Kinder wurden geboren, und falls der verhängnisvolle Trend sich fortsetzte, war der Tag abzusehen, an dem der letzte Mensch der Erde starb.
    Der Wert eines Menschenlebens stieg im gleichen Umfang, wie die Geburtenrate abnahm. Keine Anstrengung war zu groß, kein Mittel zu teuer, um es zu erhalten. Kein Kranker wurde mehr aufgegeben. Wenn ein Patient nicht mit den zur Verfügung stehenden Mitteln geheilt werden konnte, brachte man ihn in die Tiefschlafkammern, in der Hoffnung, ihn in den nächsten Jahren, Jahrzehnten oder Jahrhunderten zu neuem Leben erwecken und seine Krankheit besiegen zu können.
    Für Ross schienen nur Stunden vergangen zu sein, seitdem er eingefroren worden war. Er hatte sich für die Ärztelaufbahn in einem der Hospitäler für »Unheilbare« entschieden. Aber nach fünf Jahren Studium hatte sich herausgestellt, daß er an einer seltenen und noch unheilbaren Art von Leukämie litt. Dr. Pellew selbst war zugegen gewesen, als man ihn einfror, wie bei allen Langzeitschläfern.
    Ross wußte, daß eine lange Zeit vergangen war, seitdem er Dr. Pellews Stimme zum letztenmal gehört hatte. Er dachte an die Nahrungskonserve, die im wahrsten Sinne des Wortes in die Luft gegangen war, und an den Haltegurt, der spröde geworden und unter der relativ geringen Belastung gerissen war. Eine schrecklich lange Zeit mußte vergangen sein. Jetzt erschien ihm auch die auf Band aufgenommene Stimme Dr. Pellews wie die eines alten Mannes. Aber all das war jetzt plötzlich unwichtig.
     
    Er war geheilt!
    Vorsichtig begann Ross, auf Händen und Knien im Raum umherzukriechen. Sein Körper glich einem mit Haut überzogenem Skelett. Doch das störte ihn nicht. Fast hätte er laut aufgelacht. Nur die immer noch unerträglichen
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