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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht
Autoren: Kai Meyer
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erwartet, dass ein Bediensteter auftauchen würde, sob a ld der Motor erstarb, doch nie m and zeigte sich. Masken eilte um das Fahrzeug, um ihr die Beifahrertür zu öffnen, doch da stand sie schon längst im Freien und betrachtete d i e steinernen Ny m phen.
    Er lächelte. »Ich ha b e m i ch gefragt, ob es Ihnen gleich auffä llt .«
    »Das ist J u l a .«
    Masken nickte. »Ausstattungsstücke aus der Pharaonentochter. Ein grässliches Machwerk, haben Sie es gesehen? Jula war darin nicht besonders gut, wenn Sie m i ch fragen. Aber sie hat m i r danach diese beiden Figuren geschenkt, und sie m achen sich hier ganz gut. Kein echter Mar m or, nur be m alter Beton. Die Züge hat m an natürlich Julas Gesicht nache m pfunden, aber ich kann Ihnen nicht sagen, ob der Körper auch ihr e r ist. Sie hat es behauptet.
    Aber wer ver m ag das schon zu beurteilen – außer vielleicht ihre drei Dutzend Liebhaber.«
    »Drei Dutzend ? «
    Er zuckte die Achseln und schloss die Tür auf. »Treten  Sie ein.«
    Es war sonderbar, zwischen den beiden Standbildern ihrer Schwester hindurchzugehen. Sie war gezwungen, zu Julas Antlitz au f zubli c ken, wie es im Film endlose Sklavenkolonnen getan hatten. D i e Statuen standen da wie Wächter eines heidnischen Heiligtu m s, und Ch i ara kam es vor, als beträte sie da m it endgültig Julas Reich. Sie war nicht sicher, ob sie das wirklich wollte.
    Der Eingangsbereich, eine getäfelte Diele m it orientalischen Teppichen und einem Kronleuchter, war behaglicher, als er es a ngesichts der gesch m acklosen Stil v ielfalt s einer E i nrichtung hätte sein dürfen. Vor allem die Reprod u ktion ei n es m ittelalte r li c hen Fresko s , ehe m als wohl gleich f alls T e il ei n er Kulisse, z og Chiaras Blicke auf sich: E i ne Gesellschaft bei Hofe, und auf dem Thron – natürlich – Jula als gekrönte Herrscherin.
    Sie drehte sich um und b e m erkte, dass Masken sie beobachtete.
    »Es ist Ihnen unangeneh m «, stellte er fest. » Zu viele  Bilder Ihr e r Schwester.«
    »Es wirkt wie ein … wie ein Mausoleum zu ihren  Ehren.«
    »Und Sie denken, dass sie das nicht verdient hat?«
    »Vielleicht, wer weiß. Ich k a nnte Jula nicht so gut wie offenbar jeder andere in dieser S t adt. Zu m i ndest nicht die Jula, die in all diesen Fil m en auftaucht. W i e viele hat s i e eigentlich gedreht? Neun, zehn ? «
    »Siebzehn.«

»Sehen Sie! Ich hab nicht m al die Hälfte davon gesehen.«
    »Die m eisten sind nicht besonders gut.«
    »Trotzdem war sie ein Star.«
    »Das ist sie im m er noch – und wird es bleiben. Ihre Fil m e leben weit e r.« Er tr a t vor das Fresko und blickte daran e m por. Für C hiara sah es aus, als wäre er geradewegs in das Bild hineingetreten, einer von hundert Bitt s tellern am Fuße des Throns ihr e r Schwester.
    » W ussten Sie«, fragte er, »dass Jula und ich uns gestritten haben ? «
    »Ich hab’s in irgendeiner Zeitung gelesen.«
    »Oh, das waren nur unsere üblichen Reibereien … Manch m al war ich vielleicht ein w enig eifersüchtig, weil sie auch o h ne m i ch erfolgreich war. Aber das m eine ich nicht. Ich spreche von einem echten Streit.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    Masken trat aus der Szene in J u las Thronsaal zurück in die W i rklichkeit. »Kom m en Sie, ich zeige Ihnen etwas.«
    Er führte sie durch ein Treppenhaus, dessen Wände m it gerah m ten Plakaten dekoriert w a r e n. Auf allen stand s e in N a m e als Produzent, Regisseur oder Autor.
    Sie folgten den Stufen bis zum Ende. Dort hielt Masken ihr eine s c hw ere Eisentür auf. W enige Schritte führten sie in eine andere W elt.
    Sie standen unter der Kuppel des Glasateliers, dessen Scheiben von innen durch schwarze Raffrollos verhängt waren. Darunter befand sich ein Irrgarten aus Kulissen, die sie eher in einem Theater ver m utet hätte, als in einem Fil m studio. Da waren Teile einer apokalyptischen Landschaft voller Bau m gerippe und bizarrer Felsen; Wände m i t aufge m alten M öbeln, die zu einer Art  Herrenhaus gehörten; Bauteile einer Außenfassade; eine Gruft m it Gewölbebögen. Nichts davon wirkte real, nicht ein m al plastisch. Die U m risse waren grob, die Schraffuren deutlich zu erkennen.
    »Kubin«, sagte Masken.
    » W i e bitt e? «
    »Alfred Kubin. Er hat alles entworfen, das m eiste sogar m it eigenen Händen hergestellt.« E r lächelte. »Sie haben nie von ihm gehört, nicht wahr ? «
    »Sollte ich d enn?«
    » W arten Sie’s ab, vielleicht lernen S i e ihn noch kennen. Sagen Sie,
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