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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht
Autoren: Kai Meyer
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Zähne.
    Chiara dan k te allen Beteili g ten und bat sie, den Toten zu best a tten u n d Stillschw e igen über di e Sache zu b ewahren.
    Nachdem die Leiche im Sarg und der Sarg im Grab lag, gingen Chiara und Nette durch die Altstadt zu ihrem Hotel am Marktplatz, packten ihre Sachen und verließen Meißen.
    Sie nah m en den nächsten Zug nach Süden.
    »Hätte es etwas geändert, wenn du auf seine Warnung gehört h ä ttest?«, f ra g te Nette, al s sie a ll e in in ihrem Zugabteil saßen.
    Darauf wusste Chiara keine Antwort.
    In der d a r auf f olgenden Nacht, in ei n em Hotel in München, träu m t e sie zum ersten und einzigen Mal von Diandra, dem Mädchen aus dem W aisenhaus im Scheunenviertel.
    Böse, hatte das Medium gesagt, m it einer Sti mm e, von der Chiara nun wusste, dass sie ihrem Vater gehört hatte.
    Am Morgen stand sie vor der Spiegeltür des Kleiderschranks, als Nette an die Tür klopfte und eintrat. Chiara wandte sich nicht u m , als das Mädchen von hinten an sie herantrat und über i h re Schult e r blic k t e. Sie beobachteten einander im Spiegel.
    »Manch m al möchte ich die Zeit anhalten«, sagte Chiara.
    »Einfach innehalten, um Zeit zum Nachdenken zu haben. So, wie m an ein Buch für e i ne Minute o der einen ganzen Tag zuschlägt, um über die Personen nachzudenken … was sie sagen und tun und wie sie zueinander stehen.«
    »Aber wir denken doch ständig über uns selbst nach.« Das war ein sonderbarer Satz oder wäre es gewesen, wenn die frühere Nette ihn gesagt hätte. Aus d e m M und ihres Spiegelbildes klang er ganz selbstverständlich.
    »Es geht nicht um m i ch, es geht um die anderen«, sagte Chiara. » U m die Menschen, die ich m ag. Was hilft es, wenn ich erst weiß, was sie m ir wirklich bedeuten, wenn sie nic h t m e hr da sin d ? I ch will es v o rher wissen, wenn ich es ihnen sagen kann – oder ihnen zu m i ndest in die Augen schauen und es denken kann.«
    Nette berührte sanft ihre Hand.
    »Gehen wir«, sagt sie nach einer langen Pause. Chiara nickte langsa m .
    Ihre Spiegelbilder wandten sich ab, und obgleich niemand sie ansah, waren sie noch immer da, lebendig im Kristall, und sie gingen zur Tür und verließen das Zimmer.

      
      
      
    ENDE
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