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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht
Autoren: Kai Meyer
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bist du hier?«, fragte Chiara und hatte Mühe, das Beben in ihrer S ti mm e zu unterdrücken.
    »Letzte Nacht haben wir angelegt. W i r haben Masken hergelockt, um herauszufinden, ob er noch … ob er noch das hat, was nötig i s t, u m die W i edergeburt zu vollziehen. Du weißt, was das i s t, n e h m e ich an . «
    Sie dachte an die Gläser in der Kam m er und nickte.
    »Ja.«
    Jula l a chte bitter. » W ie ar m selig, nicht wah r ? Masken behauptet, er hätte es nicht m ehr. Morgen wird Jakob einen Arzt suchen, der m i ch operiert … das wird nicht einfach werden, wenn er m i ch sieht . « W i eder ein Lachen.
    »Sei froh, dass dir das erspart geblieben ist.«
    Chiara kannte das Versteck. Das Glas m it ihren eigenen Initialen hatte sie b e i d er ande r en in der Villa gelassen. Irgendwie schien es ihr dorthin zu gehören. Masken hatte es der anderen gestohlen, nicht ihr.
    Sie sa g t e J u la nicht, was sie wusste. Es war zu s pät. Si e wunderte sich, dass ihre Schwester das noch nic h t begriffen hatte.
    Im selben Augenblick peitschte ein Schuss. Jemand hatte gefeuert – nicht auf sie, nicht ein m al in ihrer Nähe, sondern oben im Salon.
    Ein weiterer Schuss. Dann Ruhe.
    Chiara zog scharf die Luft ein. »Gib m i r die W affe!« Keine Reaktion im Dunkeln. »Gib m i r die W affe, verdam m t !«
    Julas g esi c htlose Sti mm e f l üste rt e etwas in ein e r fre m den Sprache.
    Eine Sekunde später wurde ihr der kalte Griff des Revolvers in die Hand gedrückt. Konnte der Junge in der Finsternis sehen? Sie umfasste die Waffe, hörte sich selbst  » W artet hier!« m u r m eln, dann drehte sie sich u m .
    Sie tastete sich blind durch die Tür und an der W and entlang, tappte die erste Tr e ppe hinauf, die zweite. Ein kalter Luftzug wehte ihr entgegen, als sie den Salon betrat. Durch die offene Tür zum Deck und durch die beiden unverschlossenen Fenster drang ein Hauch von Licht, verwässe r t e Keile a u s H elligkeit von der einzelnen La m pe unten am Kai. Der Stuhl, an den Masken gefesselt gewesen war, lag auf der Sei t e. Die zersch n itte n en Enden der Seile kr üm m t en sich auf dem Teppich wie schlafende Giftschlangen.
    Jakob lag reglos am Boden. Sie wusste, dass er tot war, noch bevor sie sich ihm weit genug genährt hatte, um die Einschüsse in seiner Brust und in seinem Gesicht zu
    sehen. Das Loch, das ihre Kugel in sein Bein gerissen hatte, war dagegen ein besser e r Nadelstich. Je m and hatte m it einer großkalibrigen W a ffe auf ihn gefeuert. Von Jakobs Schädel war kaum etwas übrig.
    Chiara schaute sich alar m i ert u m , aber sie war all e in im Salon. Sie lief hinaus aufs Deck und trat vorsichtig an die Reling. Nie m and war zu seh e n. W e der auf dem Hauptdeck noch auf dem Landungssteg oder am Kai.
    Die Erkenntnis traf sie b litzartig.
    Sie waren noch hier. Auf d e m Schiff.
    Sie wartete auf weitere S c hüsse, einen Schrei, doch vorerst blieb es still. Sie m usste sich entscheiden, ob sie langsam nach unten schleic h en o d er alles auf eine Karte setzen und losstür m en wollte.
    Chiara rannte. Ihre Schritte häm m e rten über das Holz, klirrten auf der Sta h ltreppe nach unten.
    Als sie den Gang betr a t , lag er in v ö lli g er Fin s t e rnis. Die Türen zu beiden Seiten waren schwarze Rechtecke, un m öglich zu sagen, ob sie offen oder geschlossen waren. Chiara huschte an allen vorüber, rechnete vor jeder m i t einer Falle, da m it, dass je m and sie erwartete, dass im Dunkeln eine Mündung auf sie gerichtet wurde.
    »Vorsicht!«
    Der Ruf galt nicht ihr, a b er sie hatte die Stim m e erkannt: Arthur Her m ann. Der Schein der Taschenlampe strich über sie hinweg, blendete sie für einen Sekundenbruchteil und erlosch sofort. Chiara d r ückte sich an die Wand, als Mündungsfeuer die Schwärze zerriss und eine Explosion aus Holzspänen die W andtäfelung zerfetzte.
    »Dies m al hast du dich zu weit vorgewagt, Chiara«, rief  Her m ann m i t sich überschlagender Stim m e.
    Sie hörte, wie seine Schritte näher ka m en. Hinter ihm  stöhnte Masken etwas, um ihn aufzuhalten, aber Her m ann rannte weiter. Sie vermutete, d as s er unter Dr o gen stand. Er war ein Dreckschwein, aber sicher kein Draufgänger. Dass er das Risiko auf sich geno mm en hatte, Masken zu befreien, s p rach nicht für s e inen Mut – nur f ür seinen Irr s inn.
    Sie wich zurück bis zur let z t e n Tür, an der sie vorbeigekommen war, und drü c kte lautlos die Klinke herunter. Die Dunkelheit saug t e sie auf wie
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