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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht
Autoren: Kai Meyer
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zu widersprechen. Aber sie ahnte, d ass das kei n en Sinn hatte. W i e sollte s i e J u la, d i e alles über die Spuren des Avatars zu wissen glaubte, davon überzeugen, dass es sehr wohl einen Ausweg gab? Dass die Veränderung, die m it einem vorging, von äußeren E i nflüssen abhängig und keineswegs vorgegeben war. Reinh e it, ja, L i ebe zu s ich selbst, gewiss – aber das Wie ließ si c h beein f lus s en. Die M o nate m it N e tte h atten sie gefor m t, so wie andere von den Theosophen, vom Fil m geschäft, von der P olitik gefor m t worden waren. Ihr selbst war es gerade noch rec h tzeitig gelu n gen, sich Maskens Einfluss zu entziehen.
    » W enn du den Spuren noch ein m al folgst«, sagte Chiara,
    »wirst du werden wie er. W i e Jakob. W ill s t du das wirklich ? «
    »Habe ich denn eine W ahl ? « Jula s c hnaubte l e i s e. »Alles ist besser, als bei lebendigem Leibe zu verfaulen.«
    » W arum h a sst du Masken so? Doch nicht nur wegen m i r. Ich war dir im m er völlig egal.«
    »Er hat die Sache verraten. Er hat immer nur sich selbst gesehen, seinen Vorteil.«
    »Ist das nicht Sinn eines Ich-Kults? Das eigene Wohl ? «
    »Es gibt Höheres, Chiara. Ich habe es erlebt. Der Avatar, diese ganze Sache … es geht nicht um M acht oder Einfluss oder Geld. Ich habe das fast zu spät erkannt. Nach dem Feuer bei den Dreharbeiten, als ich gerade begonnen hatte, selbst an das zu glauben, was alle m i r einredeten,  dass ich etwas Besseres sei, je m and, der es ve rdie n t hat, angebetet zu werden … nach diesem Feuer habe ich die Wahrheit erkannt. Ich habe m i ch noch ein m al überreden lassen, m it Masken zu drehen, ein paar Sze n en für diesen anderen Film. Aber dann habe ich alles abgebrochen und bin fortgegangen aus Berlin. Z u rück nach Indien. Ich habe erst v i el s p äter erfahren, dass Ma s ken m it Hil f e m eines Origin a l s meinen Tod inszeni e rt ha t. Ich w e iß nicht, ob er von Anfang an geplant hat, d a m it an dich heranzukom m en  … ver m utlich nicht. E s war wohl so etwas wie ei n e persönliche Rache an m i r. Er kam nicht an m i ch heran, dafür aber an die andere, d i e aussah wie ich. Ich kann m i r vorstellen, was er ihr angetan hat … wie er si e ausgenutzt hat, m it ihr gespielt hat … das w ar schon im m er seine gehei m e Leidenschaft, wusstest du das ? «
    Chiara holte tief Luft und erzählte ihr von d e m Bordell, in dem Masken die willenlosen O r iginale wie Sklavinn e n hielt.
    »Ja«, sagte Jula kalt, »das pas s t zu ih m . Als er m it m einem Original f e r tig war, hat er es st e rben l a ssen. Und dann ka m st du. W ahrscheinlich hat er dich zum ersten Mal auf der B e erdigung gesehen, und ihm ist der Gedanke gekommen, dass du ihm helfen könntest, wieder seinen alten Status zu erlangen, den alten Ruh m , das Ansehen.« Sie brach ab. »Über alles weitere weißt du wahrscheinlich besser Bescheid als ich.«
    » W oher weißt du das alles ? «
    »Das m eiste hat Jakob m i r erz ä hlt. M asken hat ihn eingewei h t, als er ihn als deinen Lehrer en g agiert hat. Es war nicht schwer, m i r den Rest zusammenzurei m en. Masken h a t das m eiste best ä ti g t, heute Nac h m ittag, als Jakob sich … seiner angenomm e n hat.« Erneut raschelte es, als Jula im Dunkeln ihre Position änderte. W ar sie näher gekommen? Instinktiv wich Chiara einen Schritt  zurück. Der Junge gluckste wieder.
    »Er hat es nicht begriffen«, sagte Jula. »Nichts, gar nichts hat er begriffen, dieser Idiot. Es geht nicht daru m , Doppelgänger zu züchten und sich zu Diensten zu m achen. D i ese Sache h at eine spirituelle Größe, verstehst du? Und das bedeutet nicht, i r g e nde i ne S c h a u s p i e l e r i n zu einer f alsc h en Göttin z u m achen. Das ist l e i c ht. Nein, es geht daru m , selbst das Göttliche zu berühren. Nicht all m ächtig zu werden, sondern Teil seiner All m acht zu werden!«
    Chiara brauchte einen Mo m ent, ehe sie verstand. Jula m einte das Kind. Teil s e i ner All m a cht. W as i m m er Jula in Indien gesehen oder erlebt hatte, es hatte einen anderen Menschen aus ihr ge m a cht. Aber erkannte sie d enn nicht die W ahrheit? Sie war nichts als ei n e ster b ende Frau, die m it einem pestverseuchten Schiff die halbe W elt u m rundet hatte und ausgerechnet an jenem Ort auf Erlösung hoffte, vor dem sie zuvor davongelaufen war. Und alles, woran sie glau b t e, hatte sie m itgebracht: ihre Kra n kheit, das Kind. Ihren Tod und ihre Hoffnung auf Leben.
    »Seit wann
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