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Das Zimmermaedchen

Das Zimmermaedchen

Titel: Das Zimmermaedchen
Autoren: Markus Orths
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denkt sie, jeden Tag die Matratzen ausklopfen. Mit einem Teppichklopfer. Die Schreie über ihr werden lauter. Lynns linke Hand sucht, tastet, teilt, die rechte tupft, Morsezeichen, Finger verschwinden, Lippen werden von Zähnen zum Schweigen gebracht, im Bett ein Toben, auch Lynn stöhnt jetzt, ganz leise, ihr Stöhnen mischt sich unters Stöhnen über ihr. Lynn hört Schlaggeräusche.
    »Härter«, ruft der Mann.
    Es knallt.
    »Jetzt bist du fällig!«, ruft Chiara. »Ich fick dich tot!«
    Lynn windet sich unterm Bett. Atem hat sich längst selbständig gemacht, ist gerade so laut, dass sie es hören könnten, und doch so leise, dass sie es nicht hören. Lynns Körper schüttelt sich. Ihre Hände klammern sich von unten ins Bett. Über ihr die Krallen des Manns in der Matratze. Nur Zentimeter entfernt. Und dann ist es vorbei. Lynn hat den Faden verloren. Sie atmet schwitzig. Einen Augenblick hat sie Angst, dass zwei auf dem Kopf stehende Köpfe zu ihr unters Bett schauen könnten. Aber das geschieht nicht. Nur erschöpftes Keuchen. Und Lynns Atem, der jetzt wieder lautlos ist. Sie haben nichts gemerkt.
    »Wie viel?«, fragt der Mann.
    Chiara: »Mit Dildo 250.«
    »Schreib mir noch mal deine Nummer auf.«
    »Ich lass dir mein Kärtchen da.«
    »Leg’s auf den Tisch.«
    »Ich geh kurz duschen.«
    Lynn sieht die Knöchel, die Waden, sie schiebt sich weiter zum Bettrand, sieht die Kniekehlen, die Hüfte, den Rücken, die Haare gehen bis zu den Schulterblättern, sie sind blond gefärbt. Lynn hört den Duschstrahl. Sie rutscht zurück zur Mitte. Minutenlang nichts. Der Mann liegt still. Seine Gedanken nicht hörbar. Die Stimmung erloschen. Wenn etwas vorbei ist, trübt sich die Luft. Das Ende von etwas riecht immer nach Nebel. Chiara kommt aus der Dusche, zieht sich langsam an, rollt die Strümpfe auf und lässt Füße und Beine hineingleiten. Dabei wird sie beobachtet, denkt Lynn.
    »Also dann, ich meld mich«, sagt der Mann.
    Chiara stöckelt ums Bett herum.
    »Ciao.«
    Eine Tür schließt sich.
    Der Mann geht ins Bad.
    Lynn stellt sich vor, wie er unter der Dusche steht und sich den Sex vom Körper schrubbt, fremde Hände, fremde Zunge. Er wird sich die Zähne putzen und Parfum und Deo versprühen. Er wird sich die Haare föhnen. Er wird alles tun, um wieder der zu sein, der er nicht ist.
    Lynn kriecht unterm Bett hervor. Sie wird die Nacht hier nicht verbringen. Nicht heute, nicht nach dem, was geschehen ist. Sie zupft kurz ihre Kleidung zurecht. Immer noch der Duschstrahl. Bevor sie das Zimmer verlässt, fällt ihr Blick auf Chiaras Kärtchen. Lynn nimmt den Hotelbleistift, kritzelt die Telefonnummer auf den weißen Block mit dem Eden-Logo und reißt den Zettel ab. Im Flur steht ein Sessel, in den sie sich fallen lässt. Sie steckt den Zettel ein. Kurz denkt sie, es ist das erste Mal, dass ich etwas mitnehme, das nicht mir gehört. Sie sitzt im Flur, Hände vorm Gesicht, Erschöpfung. Nach zehn Minuten steht sie auf und beginnt den Flur zu putzen. Lynn kennt den Flur gut. Sie kennt ihn in- und auswendig. Sie weiß um seine dunklen Ecken und hohen Wandkanten. Sie weiß, dass sie auf einen Stuhl steigen muss, um mit dem Putzwedel alle Stellen zu erreichen. Sie weiß, dass sie den Flurspiegel abhängen und hinter dem Spiegel den Staub entfernen muss, der durch die Ritze von oben hineinrieselt. Sie weiß, dass der Flur schummriger ist als die Zimmer, weil es keine Fenster gibt und das künstliche Licht kaum für Helligkeit sorgt. Sie weiß, dass sie den Schmutz nicht so gut sehen kann wie in den Tageslichtzimmern. Sie weiß, dass sie den Dreck manchmal nur ahnt. Lynn putzt so lange, bis der Mann aus Zimmer 304 tritt. Lynn nickt ihm zu. Der Mann nickt zurück, geht Richtung Aufzug. Keiner sagt was.
    Zu Hause badet Lynn. Noch einmal befriedigt sie sich. Immer noch schwache Phantasiefäden. Sie ist aufgedreht, sie hat keinen Appetit, sie legt den Zettel mit Chiaras Nummer auf den Tisch.
    Lynn traut sich nicht.
    Sie streicht ums Telefon.
    Eine Woche lang.
    Würde sie den Hörer abnehmen und die Nummer wählen, dann würde sich etwas ändern. Was Lynn nicht weiß, ist, ob sie das will. Was sie nicht weiß, ist, ob es ihr Glück bringen wird oder Unglück. Immerhin würde sie noch einmal Chia ras Stimme hören.
    Nächster Dienstag.
    Es geschieht nicht viel. Eigentlich gar nichts. Der Gast kommt erst früh am Morgen ins Zimmer, schon wird es draußen langsam hell, er fällt angezogen aufs Bett und schnarcht. Vielleicht ist er
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