Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Zimmermaedchen

Das Zimmermaedchen

Titel: Das Zimmermaedchen
Autoren: Markus Orths
Vom Netzwerk:
Zeit?«
    »Ich muss bald gehen, Mutter. Der Zug.«
    »Du musst doch was gemacht haben, das halbe Jahr.«
    »Therapien.«
    »Warum wolltest du nicht besucht werden?«
    »War Teil der Therapie.«
    Die Mutter schweigt. Beidseitige Erschöpfung.
    Wie nach einem Kampf. So viel haben wir lange nicht geredet, denkt Lynn. Sie trinkt einen Schluck Wasser aus Mutters Glas.
    »Kommst du noch mal?«, fragt Mutter.
    »Ist ne weite Reise.«
    Man kriegt ein Kind, denkt Lynn, man zieht es groß, man päppelt es auf, man sorgt für sein tägliches Überleben, man lässt es aus dem Haus, aus den Händen gleiten, in die Welt, und dann lebt das Kind in der Welt, zusammen mit den anderen, und man will ihm nah sein und kann es nicht, man ringt ihm ein paar Worte ab, das ist alles, ehe es untertaucht. Lynn steht auf. Sie weiß nicht, wie sie sich verabschieden soll. Die Mutter greift nach Lynns Hand, sie führt die Hand wie einen Waschlappen ans Gesicht, als wolle sie sich die Wange waschen mit der Fläche. Lynn lässt es zu. Lynn kann sich selbst nicht sehen, von außen, es fehlt der Spiegel im Raum, und sie weiß nicht, ob ihr Mund ein Lächeln fabriziert oder einfach gerade bleibt, ein ausdrucksloser, waagerechter Strich in der Landschaft, die sie, seit sie sprechen kann, Gesicht nennt, aber nie zu Gesicht bekommen hat, außer im Spiegel, aber dann ist sie schon nicht mehr sie selbst.
    Als die Tür geschlossen ist und die Mutter zurückgelassen und das Krankenhaus hinter ihr verschwindet, greift Lynn nach ihren Zigaretten, aber was sie aus der Tasche zieht, sind keine Zigaretten, es ist ein Schächtelchen mit blauen und weißen Pillen, es hat drei Fächer, morgens, mittags, abends. Lynn weiß nicht, wie das Schächtelchen in ihre Jackentasche gekommen ist, sie weiß nicht, wann sie es vom Tisch genommen hat, sie sieht nur das Ergebnis, und weil sie nicht weiß, was sie tun soll, öffnet sie es und schluckt eine weiße Pille aus dem Fach für a bends, denn es ist lange schon Abend, und langsam fällt die Dunkelheit her über die Welt, denkt Lynn, wenn es überhaupt möglich ist, dass etwas langsam über etwas herfallen kann, aber es fehlt ein anderes Wort, um auszudrücken, was sie fühlt.

5
    D as Kribbeln ist stark. Lynn spielt des Öfteren mit dem Gedanken, es schon am Montag zu tun, aber sie reißt sich zusammen, vertagt Erlösung der Erregung auf Dienstag. So hat sie es sich vorgenommen. So wird sie es tun. Nicht vom Vorgenommenen abrücken. Am Dienstag um sechs schiebt sich Lynn unters Bett, Zimmer 308, und wartet.
    Das Pärchen kommt spät. Man redet bis um eins. Es ist kein Streit, es ist ein Gespräch, das sich um Zukunft dreht, es ist ein Gespräch, in dem das Wort wenn eine Rolle spielt, es geht um ein Haus, das zu kaufen ist, es geht um Zeit, die miteinander verbracht werden soll, es geht um das Wort zusammenwohnen, wenn wir erst mal zusammenwohnen, dann werden wir, sagt der Mann, und die Frau lächelt wahrscheinlich, es geht um ein Kind, das noch nicht da ist, es geht um ein Leben, das noch nicht geführt wurde, es ist die Einbahnstraße Zukunft, die sich überm Bett ausbreitet, in der Dunkelheit, die beiden haben das Licht gelöscht, Sex bleibt aus dort oben, es geht um Geld, um Finanzierung, um Darlehen, um Beträge, die von Eltern dazugeschossen werden, es geht um Makler und überhöhte Provisionen, und Lynn fragt sich, ob die beiden Arm in Arm dort liegen, wenigstens das, oder jeder für sich, auf seiner Seite, und sich nur anschauen, ohne Berührung. Das Gespräch stockt, die beiden wissen nicht mehr, was sie sagen sollen, die Zukunft liegt wie ein durchgekauter Kaugummi in ihren Mündern, und in die Stille hinein sagt der Mann jetzt plötzlich Mimimimi, die Frau lacht kurz, der Mann spricht mit Fistelstimme, Mimimimi, sagt er, ich bin der dänische Koch, sagt er, nein, sagt die Frau, das ist der Gehilfe vom Koch, Smörrebröd-Smörrebröd-Ramtamtamtam, singt der Mann, und die Frau sagt, bitte nicht, aber der Mann kitzelt sie trotzdem, und die Frau lacht und sagt, nein, hör auf, sonst schrei ich, und der Mann hört auf und sagt wieder Mimimimi, die Frau sagt, vielleicht sollten wir versuchen zu schlafen, und dann wird es ruhig, nur noch einmal ein leises Kichern, und die Frau flüstert, gute Nacht, Liebling, bis morgen, sagt der Mann, und Lynn hört, wie sie sich leise voneinander wegdrehen, Knarren im Bett.
    Von nun an jeden Dienstag. Lynn nimmt ein Tuch mit unters Bett und putzt die Lattenroste. Noch nie sind die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher