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Das Zimmermaedchen

Das Zimmermaedchen

Titel: Das Zimmermaedchen
Autoren: Markus Orths
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rechtzeitig ins Krankenhaus, Operation gelungen, Bypass, werd in zwei, drei Wochen wieder zu Hause sein, Leben umstellen, weniger Fett und so weiter, aber schön, dich zu sehen, Linda. Lynn zieht einen Stuhl zum Bett. Das gibt ein Gänsehautgeräusch. Eine zweite Frau liegt im Zimmer, schläft, neben dem Bett ein Stapel Illustrierte.
    »Wie ist es passiert?«, fragt Lynn.
    »Beim Rasenmähen.«
    Mutter hat Mäher vor sich hergeschoben, den ganzen langen Rasen entlang, und plötzlich hat sie den Rasenmäher aus den Händen verloren und ist kopfüber ins Grün getaucht. Nachbar, der am Kaninchenstall zugange gewesen ist, hat es gesehen, hat keine Sekunde gezögert und ist über den Zaun gesprungen, hat Mutter in stabile Seitenlage gebracht, freiwillige Feuerwehr, hat mit dem Handy Krankenwagen gerufen, hat Mutter die Hand gehalten und Sanitätern Kurzversion des Geschehens vorgebetet. Ist sogar mit ins Krankenhaus gefahren, hat einen Witz gemacht, als Mutter wieder zu sich kam und alles so weit in Ordnung schien.
    Na, hat der Nachbar gesagt, da hast du ja fast ins Gras gebissen.
    »Warum hast du mich nicht besucht?«, flüstert die Mutter.
    »Weiß nicht«, sagt Lynn.
    »Wie lange bist du schon draußen?«
    »Seit drei Monaten.«
    »Hättest mich doch mal besuchen können.«
    »Natürlich«, sagt Lynn.
    »Hab ich dir was getan?«
    »Nein«, sagt Lynn.
    »Aber warum hast du …?«
    »Mutter«, sagt Lynn und schaut sie so an, dass sie schweigt.
    Lynn zieht Zigaretten aus der Tasche, sieht sich um, überlegt es sich anders, steckt sie wieder ein. Ich kann mich selbst kaum tragen, hätte Lynn am liebsten gesagt, wie soll ich dich besuchen, wenn ich mich selbst kaum tragen kann? Aber sie sagt nichts. Sie schweigt nur. Auf meiner Schulter ist kein Platz mehr für dich, hätte Lynn am liebsten gesagt, es ist kaum Platz für mich dort oben, ich schleppe mich selber so gut es geht. Wenn ich dich auch noch schultern soll, brech ich zusammen.
    »Es ist gut, dass du da bist«, sagt die Mutter.
    »Ich kann nicht lange bleiben.«
    »Natürlich.«
    Sie lässt sich nichts anmerken, denkt Lynn. Sie reißt sich zusammen. Wie kann man sich zusammen reißen, denkt Lynn und schaut an der Mutter vorbei. Reißen ist immer zerreißen, zerreißen ist immer Zerstörung. Wir zerreißen uns jeden Tag zusammen. Wir tun jeden Tag etwas, das nicht geht. Wir leben in einem Raum der gleichzeitigen Gegenteile.
    »Kannst du mir Wasser eingießen?«
    Lynn gießt Wasser ins Glas, wenig Kohlensäure, die Frau nebenan wacht auf, gibt kurz vorm Aufwachen einen Schnarcher von sich, schreckt leicht zusammen, begrüßt den Gast, Lynn nickt, Mutter schenkt der Frau keine Beachtung, redet weiter zu Lynn, redet von Blumen, die sie gepflanzt, von Unkraut, das sie gezupft, von Figuren, die sie gebastelt, von Unternehmungen, die sie geplant hat. Im Herbst fährt sie in die Toskana, Reisegesellschaft.
    »Freut mich«, sagt Lynn.
    »Hast du Kleingeld?«
    »Warum?«
    »Hier gibt’s Getränkeautomaten.«
    Lynn schüttet den Inhalt ihrer Börse auf den Tisch.
    »Was macht die Arbeit?«, fragt Mutter.
    »Ich hab noch nichts geklaut.«
    »So war das nicht gemeint. Was tust du den ganzen Tag?«
    »Ich putze.«
    »Was zuerst?«
    »Das Bad.«
    »Immer?«
    »Erst das Bad, dann das Zimmer. Ich sauge die Böden.«
    »Wischst du Staub?«
    »Jeden Tag.«
    »Sammelt sich da überhaupt Staub, nach nur einem Tag?«
    »Kann ihn kaum sehen. Nur in der Sonne.«
    »Aber du wischst ihn trotzdem weg?«
    »Ja, klar.«
    »Mit einem Staubtuch?«
    »Mit einem feuchten Tuch.«
    »Und die Betten?«
    »Mach ich.«
    »Wechselst du jeden Tag die Bettwäsche?«
    »Kommt drauf an.«
    »Worauf?«
    »Wie lange die Gäste bleiben. Wenn sie nur einen Tag bleiben, muss ich jeden Tag wechseln.«
    »Und wenn sie länger bleiben?«
    »Dann nicht.«
    »Wenn einer drei Tage bleibt?«
    »Dann nicht.«
    »Wenn einer eine Woche bleibt?«
    »Dann nach dem dritten Tag.«
    »Nach jedem dritten Tag?«
    »Ja.«
    »Wenn einer also zwei Wochen bleibt, dann wechselst du die Bettwäsche viermal?«
    »Am Schluss noch mal. Für den neuen Gast.«
    »Und die Schuhe?«
    »Muss ich putzen.«
    »Immer?«
    »Wenn der Gast sie hinstellt.«
    »Was ist mit den Handtüchern?«
    »Werden gewechselt.«
    »Jeden Tag?«
    »Kommt drauf an.«
    »Worauf?«
    »Ob sie auf dem Boden liegen oder über der Stange hängen.«
    »Und wie war’s in der Klinik?«, fragt Mutter.
    »Man hat mich wohl geheilt.«
    »Was hast du da gemacht, die ganze
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