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Das Zimmermaedchen

Das Zimmermaedchen

Titel: Das Zimmermaedchen
Autoren: Markus Orths
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Unterseiten der Betten so sauber gewesen. Die ersten Stunden liegt Lynn allein dort. Dann horcht sie auf das, was in ihr vorgeht. Hört aber nichts, nur ihren Pulsschlag, manchmal. Lynn wird ganz leer, die Augen geschlossen, sie fällt in einen Döszustand. Wenn die Tür sich öffnet und jemand ins Zimmer tritt, zuckt sie zusammen, kommt zu sich, legt die Hände auf den Bauch. Dann ist sie wach. Dann ist sie da.
    Am dritten Dienstag ein Mann: Er macht Liegestütze neben dem Bett, und Lynn muss sich zum anderen Rand schieben, damit er sie nicht sieht. Später sitzt der Mann im Schneidersitz auf dem Boden. Er sagt Brummmmm, zieht das m in die Länge, Atemübung, denkt Lynn, Meditation, dann hört Lynn das Umschlagen von Illustriertenseiten, ab und zu ein Räuspern, ein Luftanhalten, ein Ausatmen. Irgendwann geht das Licht aus.
    Am vierten Dienstag redet jemand mit sich selbst, sagt Mist, immer wieder das Wort Mist, als dächte er an etwas, das er heute getan oder gesagt hat und das er am liebsten rückgängig machen würde, dazu hört Lynn zweimal das Geräusch eines Klatschens, er schlägt sich vor die Stirn, als wolle er sagen, wie kann man nur so blöd sein, und Lynn denkt, was hat er getan, was hat er gesagt, zu wem hat er es gesagt, wann hat er es gesagt, vielleicht auf einer Sitzung, ein Vortrag, er hätte sich besser vorbereiten sollen, Mist, wieder, eine verpasste Chance, denkt Lynn, ein geplatztes Geschäft vielleicht, oder eine Peinlichkeit, ein Nichtwissen, Second-Messenger, sagt der Mann jetzt in der Dunkelheit über Lynn, Second-Messenger, er flucht dazu, wie kann man nur so blöd sein, sagt er, und dann klatscht es wieder zweimal, er sagt Mist, Mist, Mist, er sitzt in den Köpfen seiner Kollegen, er stellt sich vor, was sie von ihm denken, nach dem, was er sagte oder nicht sagte, vielleicht ist es nur eine Kleinigkeit, etwas Unbedeutendes, wahrscheinlich haben die anderen es längst vergessen, und keiner wird mehr an ihn und seinen Fehler denken, wie kann man nur, sagen sie aber alle im Kopf des Manns, wie kann man nur so blöd sein, der Mann beruhigt sich langsam, ab und zu hört Lynn noch ein klagendes Seufzen, wenn ein neuer Erinnerungsschub kommt, er schämt sich, denkt Lynn, er ist ganz allein in seiner Scham, die ihm niemand nehmen kann heut Abend.
    Am fünften Dienstag der Fernseher. Lynn kann den Film nicht sehen, nur hören. Sie malt sich die Bilder aus, hört Stimmen und Geräusche und sieht, was sie sehen will, erfindet eigene Bilder, ob sie passen oder nicht. Schon die Eindeutigkeit der Geräusche engt sie ein. Wenn es Schritte sind oder ein Türschlagen, wenn es ein Schrei ist oder ein Motor, der angelassen wird; wenn es ein Kuss ist oder ein Schlag, wenn es ein Keuchen ist oder ein Wegrennen; dann denkt Lynn, so viel will ich gar nicht hören. Am liebsten ist ihr die Stille. In der Stille ist alles möglich. Wenn der Fernseher verstummt, wenn der Film schweigt, wenn nur noch Bilder im Raum stehen, Bilder, die sie nicht sehen kann, dann ist ihr, als fiele sie für einen Augenblick aus der Zeit; als wäre sie nicht mehr nur sie selbst. Diese Momente sind selten. Aber sie legen sich um Lynn wie ein warmes Tuch.
    Am sechsten Dienstag eine Frau, die sofort einschläft.

6
    S iebter Dienstag, Zimmer 304, Lynn liegt unterm Bett eines Manns. Der ist im Bad. Da klopft es an der Tür. Das Klopfen wird lauter. Lynn sieht Beine, die aus dem Bad kommen, die nackten Füße hinterlassen Wasserflecken auf dem Teppich, der Mann öffnet die Tür, sagt, na, komm rein, er sagt es in rauem Tonfall, als wolle er besonders dreckig klingen, schließt die Tür ab, Lynn hört eine Frauenstimme. Unterm Bett ist es nicht kalt. Lynn legt die Hände unter die Hüfte, wölbt ihr Geschlecht ein wenig, hin zur Unterseite des Betts, sucht bequeme Stellung, hält Atem an.
    »Wie heißt du?«, fragt der Mann.
    »Chiara«, sagt die Frau.
    Diese Stimme, denkt Lynn, Chiaras Stimme, das klingt fast so, als spiele jemand in ihr Cello.
    »Zieh dich aus«, sagt der Mann, »bin gleich wieder da.«
    Chiara setzt sich aufs Bett. Lynn dreht den Kopf, sieht hohe Frauenschuhe, schwarze Strümpfe, unter den Strümpfen ein Knöcheltattoo, Schuhe werden abgestreift, Strümpfe, Strumpfband, Röckchen, Oberteil, Wäsche, komm her, du Sau. Es geht schnell los. Lynn zittert leicht. Staub wölkt auf. Lynn hält sich die Nase zu, um nicht niesen zu müssen. Man dürfte beim Putzen, denkt sie, auch die Matratzen nicht vernachlässigen. Man müsste,
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