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Das Zimmer

Das Zimmer

Titel: Das Zimmer
Autoren: Andreas Maier
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zerplatzen und so auch die ganze Kreisstadt zu verschmutzen, so daß man immer weiß, das sind die Amerikaner, und du bist besetzt. So stehen dann die Friedberger vor den Schollen auf ihrer Straße und können in Zorn geraten und müssen anschließend schnell ein Bier trinken und am besten auch gleich einen Schnaps, um es auszuhalten. Wie viele Gläser Bier und wie viele Schnäpse getrunken wurden infolge der Verschmutzung der kleinen deutschen Stadt Friedberg in der Wetterau durch die Besatzungsmacht der Vereinigten Staaten von Amerika, weiß niemand zu sagen. Bad Nauheim, wo die Amerikaner wohnten, blieb immer sauber, und Friedberg wurde immer verschmutzt. Das Grollen der Panzer ist unterdessen leiser geworden und fast schon verschwunden. Mein Onkel steigt ein und hat sichtlich Mühe, über die Spuren der Panzerketten zu setzen, hier und da drehen die Räder durch, und binnen Sekunden klebt alles am Unterboden und macht den Variant schwer und schwerer. Aber nun sind es auch nur noch wenige hundert Meter zur Panzerrampe, und ab da ist der Weg in ordnungsgemäßem Zustand, denn dort fahren die Panzer nicht, das immerhin dürfen sie nicht, und die Amerikaner dürfen auch nicht das Forsthaus betreten (off limits). Der Winterstein ist zweigeteilt, es gibt dort im Jahr 69 die zivile deutsche Zone und die Sperrzone der Amerikaner, abgezäunt und mit Schildern versehen, auf denen Worte stehen wie
    Sofortiger Schußwaffengebrauch!
    Immerhin auf Deutsch, damit man es auch verstehen kann. Manchmal sah man die Amerikaner bei Nacht in Friedberg auf der Straße. Überhaupt kamen sie mir immer alle völlig lichtlos vor mit ihren weißen Gesichtern. Nachts neigten diese Gesichter zum Leuchten. Man sah sie von weitem und tat gut daran, der Besatzungsmacht den Vortritt zu lassen, Schlägereien waren an der Tagesordnung, und zugleich trafen sich die weißen Amerikaner mit den von ihnen tatsächlich so genannten deutschen Fräuleins in den Hinterstuben der Lokale zum massenhaften gemeinsamen Kennenlernen. Auch bei uns zu Hause auf dem alten Firmengelände verkehrten meine ganze Jugend über ständig amerikanische Soldaten, manchmal war die ganze Terrasse voll mit ihnen. Alle diese Amerikaner haben nie unsere Stammwirtschaften von innen gesehen, nie die Dunkel, nie die Schillerlinde, auch nicht das Lascaux, in dem ich meine Jugend verbrachte, eine Kellerkaschemme, in der wir selbst bald alle zu lichtlosen Gestalten wurden, wie die Ratten herumliefen und langsam etwas an der Welt begriffen, das wir später nie mehr vergessen sollten.
    Dort hinten, am Rand der Wiese, wird nun dasForsthaus Winterstein sichtbar, die Fenster des Gastraums leuchten in die beginnende Nacht, vier Autos stehen davor, zu Fuß kommt hier nachts keiner her. Das Forsthaus liegt einsam, die Wirtsfamilie wohnt mitten im Wald und eigentlich völlig allein auf dem Winterstein. Mein Onkel parkt in Reih und Glied neben den anderen Autos, steigt aus und steht ein wenig gebuckelt da. Dann geht er zunächst einmal um alle Autos herum und betrachtet sie interessiert. Dann läuft er zur Pferdekoppel, dort ist aber alles dunkel, kein Pferd steht mehr draußen. Abgesehen davon, daß mein Onkel jetzt schon fast auf die vierzig zugeht, ist hier alles noch wie früher, nichts hat sich verändert, nur die Autos sind neueren Datums. Mein Onkel tritt ins Gasthaus ein.
    Die Jäger waren da.
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