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Das Zimmer

Das Zimmer

Titel: Das Zimmer
Autoren: Andreas Maier
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Wahrheitsmoment, und plötzlich ist mansehend. In diesem Augenblick ist es in allen Wetterauern auf der Kaiserstraße still, alles schweigt, alles starrt gebannt auf den nicht vorhandenen Punkt am Wetterauer Himmel.
    Einige Sekunden später fährt mein Onkel weiter, und die kuriose Anhäufung von Verkehr, die man bislang nicht gekannt hat, löst sich auch schon wieder auf, alle Autos rucken an und fließen gleich nach Norden und Süden und auch in kleinere Seitenstraßen ab, und nach wenigen Sekunden ist von alldem nichts geblieben, nur noch hier und da, wie ehedem, ein Automobil auf der Kaiserstraße oder auch zwei, aber was war das eben, fragen sich alle verdutzt auf der Kaiserstraße. Hm, macht der Dunkelwirt, schaut noch kurz in Gedanken auf die Kaiserstraße und geht dann wieder hinein, um Bier zu zapfen. Beim Hineingehen denkt er darüber nach, ob er das eben Erlebte vom Tresen aus den Dunkelgästen erzählen soll, aber es wird ihm im selben Augenblick klar, daß ihm dafür die Worte fehlen und daß man das gar nicht erzählen kann, denn eigentlich kann er selbst nicht begreifen, was da eben war, und ob da überhaupt etwas war, weiß er eigentlich auch nicht. Der alte Herr Herrmann verabschiedet den Dichter Usinger, stemmt die Arme in die Seiten, wirkt ein wenig gebeugter als vorher, hat nun zwei Falten mehr neben der Nase und geht wieder in seine Buchhandlung zurück, zeitgleich mit Herrn Lenhardt, welcher fünfzigMeter entfernt dasselbe tut. Die beiden Rausch gehen wieder in die Linde, dort warten inzwischen drei Schnitzel im Essensaufzug, die wird der alte Herr Rausch gleich an die Tische bringen, derweil Erwin, der Sohn, Servietten falten wird. Herr Schifbenger geht bei der Konkurrenz einen Kaffee trinken. Nach und nach verschwinden alle Friedberger wieder in ihren Häusern und hinter ihren Fenstern, auch mein Onkel ist mit meiner Mutter und dem Variant bereits auf dem Weg nach Bad Nauheim, und die Kaiserstraße liegt wieder still, unberührt und friedlich da wie ehedem. Nur den Dichter Usinger sieht man gerade noch im Tor der großen Burg verschwinden, mit seinem Bücherstapel unter dem Arm und seinem alten Frack, als entstamme er einer völlig anderen Zeit und sei hier gerade von Spitzweg hingemalt worden unter dem Titel Der kosmologische Dichter verschwindet in seiner Burg .

8
    J. steuert direkt nach Bad Nauheim und setzt meine Mutter bei ihrer derzeitigen Wohnung ab. Anschließend fährt er sofort in die Uhlandstraße, ißt eilig das vorzeitige Abendessen, das dort für ihn bereitsteht, und bringt seine Mutter zum Friseur. Dann fährt er noch schnell zum Schade & Füllgraben und kauft Gelierzucker in großen Mengen, den er in die Uhlandstraße bringt, wo sich im Keller quasi eine ganze Lagerhalle von einzumachendem Obst befindet, wie ihm vorkommt. Je mehr seine Mutter einkocht, desto mehr wird das Obst. Es stammt zum größten Teil vom Firmengelände. Birnen, Pflaumen, Kürbisse, und vor allem Äpfel. Und nun ist es gerade einmal achtzehn Uhr und alles erledigt, und mein Onkel bricht endlich, als hätte er es fast nicht mehr für möglich gehalten (tausend Blutbade hat er inzwischen in seinem Kopf angerichtet), von der Uhlandstraße zum Forsthaus Winterstein auf.
    Zuerst fährt er durch die Stadt und sieht schon nach wenigen Metern das Schild einer Bierwirtschaft, vielleicht eine, in der er, immerhin der Boll-Erbe, sich lange nicht gezeigt hat. Dort könnte er hinein, erst den Wagen repräsentativ parken, dann schon gleichim Türrahmen stehen, und alle schauen zu ihm hin, erkennen ihn sofort und freuen sich. So ein Gast! Aber da kommt auch schon das Schild der nächsten Wirtschaft, und das dritte, es finden sich ja überall kleine Wirtsstuben und Tanzlokale in Bad Nauheim, wegen der zahllosen Kurgäste. Lieber fährt mein Onkel also doch hinauf Richtung Wald, dort möchte er noch ein wenig unter den Rotkehlchen sein, die gerade jetzt, kurz vor der Dämmerung, wieder zu singen anfangen. In der Dämmerung wagt sich auch das Wild aus dem Versteck. Man läuft dort mit festen Schuhen auf dem Waldweg und hat auch ein waldtaugliches Jäckchen an, fast wie die Jäger. Dann fühlt sich J. ordnungsgemäß und regelgerecht. Eigentlich trägt er eine Uniform, eine Walduniform. Hier hat er auch immer den alten, großen Feldstecher dabei. Als kämen aus ihm seine Augen heraus vor lauter Schauen im Wald und aus diesen noch einmal der alte Feldstecher. Mein Onkel gehörte auch zu den Personen, denen es wie mühelos
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