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Das Zimmer

Das Zimmer

Titel: Das Zimmer
Autoren: Andreas Maier
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sie einer nach dem anderen angerollt, fast zu breit für die Straße. Es ist nicht auszuschließen, daß mein Onkel die Typen einzeln kennt und bestimmen kann, ebenso wie dieVögel im Wald und auf der Wiese, zumindest hätte er behauptet, sie ganz genau zu kennen, aber am Ende hätte er sie vielleicht doch wieder nicht gewußt und wäre im Allgemeinen steckengeblieben in seiner Begeisterung. Immer größer und immer lauter werden sie und bestrahlen sich gegenseitig mit ihren Scheinwerfern, einer nach dem anderen kommen sie auf den Waldweg eingebogen. Nun kann mein Onkel den ersten ganz deutlich erkennen, das Panzerrohr strack nach vorn gerichtet, als wolle der Schütze sich den Weg freischießen und vielleicht auch gleich den Variant mit von der Straße fegen, oben schaut ein Amerikaner heraus und hat einen Helm auf und darf mit dem Panzer fahren und hat überhaupt vielleicht die ganze Verantwortung für den Panzer, kontrolliert alles und hat alles im Griff und schaut mit seinem kalkweißen Gesicht wichtig und beflissen und zugleich streng vor sich hin. Obwohl die Panzer in der Dunkelheit schon ganz nah sind, werden sie noch immer größer, und nun gleiten sie als riesige, lärmende Metallberge an meinem Onkel vorbei auf dem Waldweg am Winterstein, man versteht sein eigenes Wort nicht mehr, und die Amerikaner verstehen sich ebenfalls nicht mehr, eine Verständigung ist gänzlich ausgeschlossen. Da rollen die Panzer mit den herausschauenden Amerikanern achtlos an der Menschengruppe am Variant vorbei, jeder obenauf sitzende Amerikaner schaut genauso geradeaus wie sein Panzer, kommtmeinem Onkel vor, als seien sie miteinander verwachsen und gehörten zusammen schon von jeher, und sind auch anders gar nicht denkbar, und mein Onkel durfte sich früher bei den Militärschauen auf der Friedberger Festwiese nicht einmal in den kleinsten deutschen Spähpanzer hineinsetzen, weil er kein Kind mehr war und schon zu alt und sowieso so aussah, daß man ihn lieber nirgends hineinsetzte. Mein Onkel war nie in einem Panzer gewesen. Er lebte ohne Panzer, nur die Sehnsucht danach war immer geblieben, nur immer hineinträumen hatte er sich können. Der Winterstein, das war ja zeit seines Lebens nicht nur das Forsthaus und der Fernsehturm, sondern immer auch die Panzerstraße der Amerikaner, die vor nunmehr vierundzwanzig Jahren ins Land gekommen waren, aber immer jung blieben, und dabei wurden die Wetterauer immer älter. Die besetzte Wetterau. Amerikaner mochte mein Onkel nicht. Ihre Panzer schon. Noch immer rollen sie an ihm vorbei, und mein Onkel schaut sich wieder einmal die Augen aus dem Leib und hätte mit den Soldaten (Soldaten in Uniform, und auch noch im Wald bei einer Panzerübung, eigentlich die Höchststufe von Dasein) gern ein fachmännisches Gespräch über die Panzer und überhaupt ihren Aufbau und ihre gesamten Details und technischen Daten geführt, aber das war leider nicht möglich infolge der Sprachbarriere zwischen ihm, dem besetzten Wetterauer, und seinenBesetzern. Und infolge des heillosen Lärms, der gerade auf dem Waldweg herrscht, da mein Onkel neben seinem Variant steht. War er den Panzern je so nahe gekommen? Fast kann er sie anfassen. Schnell rollen sie nicht. Und nun ist die Kolonne vorbei, zum Abschluß kommt noch ein Geländewagen, und auch die drei Soldaten zu Fuß entfernen sich vom Ort des Geschehens. Mein Onkel steht nun allein im Lichtkegel seines Variants. Die asphaltierte Straße hat sich unterdessen in eine Wüste aus Schlamm und Erdbrocken verwandelt und ist kaum mehr passierbar. Alle paar Tage tauchen die Amerikaner mit ihren Panzern auf und machen den halben Winterstein unbefahrbar in diesen Jahren, und in der Wetterauer Zeitung streiten sie sich darum, warum das immer die Deutschen wieder wegmachen müssen. Genauer gesagt die Wetterauer. Sie streiten sich darüber nicht nur in der Zeitung, sondern auch im Jagdhaus Ossenheim, im Goldenen Faß, im Hanauer Hof, im Licher-Eck, wenn es das damals schon gab, in der Alten Schmiede, in der Schillerlinde, in der Dunkel, im Deutschen Haus, in der Krone und nicht zuletzt und vor allem im Forsthaus Winterstein, denn an einem Tag wie diesem kann man, wenn man beim Forsthaus Winterstein war, den Wagen gleich wieder waschen. Und die Erde und der Schlamm verteilen sich auf der Straße bis Ockstadt und hinunter zur Friedberger Kaserne. Manche der metergroßen Erdplacken warten eigens immer bisFriedberg, um erst da von den Panzern abzufallen, auf der Straße zu
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