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Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens
Autoren: Tatjana Stepanova
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Herzstillstand kam. Sehen Sie her«, der Pathologe wies mit einer ausladenden Geste auf das, was Kolossow nach Möglichkeit genauer zu betrachten vermied, »ein baumstarker, gesunder junger Kerl von dreißig Jahren – und von einer Minute auf die andere klappt er zusammen. Baut komplett ab.«
    »Was meinen Sie damit, baut komplett ab?«, fragte Lessopowalow misstrauisch.
    »Damit meine ich, dass ich dringend einen Kollegen aus dem chemischen Labor brauche. Alle notwendigen Materialien für die Untersuchungen werde ich vorbereiten. Mit der Konservierung warte ich bis zu seiner Ankunft.«
    »Was hat er da über Konservierung gesagt?«, fragte Lessopowalow leise und unzufrieden, als er mit Nikita zum Auto ging. »Warum müssen die immer so geheimnisvoll tun, statt einem alles in einfachen Worten zu erklären?«
    »Er will Studnjows Leiche in dem Zustand erhalten, in dem sie in die Anatomie gekommen ist. Vielleicht vermutet er, dass Studnjow eine Überdosis Heroin oder irgendeiner synthetischen Droge genommen hat. Aber vielleicht. . .«
    »Na, was denn, nun red schon!«
    »Nein, nichts weiter.« Kolossow zuckte die Schultern. »Ich werde die Sawarsina anrufen.«
    Doch Oberstleutnant Sawarsina konnte Kolossow nichts Interessantes mitteilen.
    »Haben Sie sich die Ergebnisse des Obduktionsberichts persönlich angesehen, Walentina Tichonowna?«, fragte Kolossow. »Dort bleibt im Grunde unklar, was letztlich den Tod herbeigeführt hat. Drogen hat er keine genommen? Ja, ja, ich habe Ihr Resümee gelesen . . . Doch, natürlich vertraue ich Ihnen . . . Aber da gibt es einen Punkt, der mir unklar geblieben ist, wo der Pathologe davon spricht, dass in den inneren Organen des Toten und in seinem Gewebe so ein Sulfat oder Sulfid gefunden wurde . . .« Während er noch auf die Antwort lauschte, schaute ein Milizionär zur Tür herein.
    »Nikita Michailowitsch, Ihr Telefon ist dauernd besetzt, und hier . . .«
    Kolossow wedelte mit der Hand – nun warte doch einen Moment!
    »Wir sind uns also einig, Walentina Tichonowna, es wird ein zweites erweitertes Gutachten erstellt«, wiederholte er in schmeichlerischem Ton. »Ich bin Ihnen wie immer zu ewigem Dank verpflichtet.«
    »Nikita Michailowitsch, da ist ein Mädchen aufgetaucht«, rapportierte der Milizionär, als Kolossow aufgelegt hatte.
    »Was für ein Mädchen?«
    »Eine Zeugin. Es geht um diesen Selbstmörder, Sie wissen schon, der vom Balkon gehopst ist. Sie benimmt sich ziemlich seltsam, ist ganz aufgeregt, fast am Weinen . . .«
    Kolossow stand vom Schreibtisch auf, um nach unten zu gehen. Unterwegs warf er einen verstohlenen Blick ins Nebenzimmer. Dort saß der Prüfer aus dem Ministerium schlaff zurückgelehnt auf seinem Stuhl und rauchte. Auf seinem Gesicht malte sich tödliche Langeweile. Fast tat er Kolossow Leid.
    Unten in der Wachstube war keine Zeugin zu sehen.
    »Vielleicht ist sie mal kurz raus, um zu rauchen?« Der Milizionär wurde ganz fahrig. »Ich habe ihr gesagt, sie soll hier warten. Ach, was sind das auch für Leute!«
    »Ist sie das vielleicht?« Kolossow wies mit dem Kopf zum Fenster hinaus.
    »Ja, natürlich. Will sie etwa wieder weg?«
    »Es sieht ganz so aus.« Kolossow lief nach draußen.
    Die Zeugin ging langsam über den Hof, an den parkenden Wagen der Miliz vorbei. Sie war noch blutjung, klein und zierlich wie ein Schulmädchen. Ihr Haar war feuerrot und ringelte sich zu lauter winzigen Löckchen.
    »Hallo! Sind Sie wegen Studnjow gekommen?«, rief Kolossow ihr laut hinterher.
    Sie zuckte zusammen, blieb stehen und drehte sich um. Ihre Augen waren grün, mit dunklen, schön geschwungenen Brauen, ihre Haut matt, zart und voller Sommersprossen. Man sah schon jetzt, dass dieser brandrote Spatz sich in ein paar Jahren in einen prächtigen Schwan verwandelt haben würde.
    »Kannten Sie Maxim Studnjow?«, fragte Kolossow sie ohne Umschweife.
    »Ich?« Sie machte einen jähen Schritt auf ihn zu. »Ich wollte wissen . . . Ich war bei ihm zu Hause, dort hat man mir gesagt. . . Max ist tot, nicht wahr? Er wurde ermordet, ja? Wie konnte das nur geschehen . . . Was wird er dafür bekommen?!«
    »Gehen wir erst mal in mein Büro. Wie heißen Sie?«
    »Sascha.«
    »Angenehm. Nikita . . . Nikita Michailowitsch. Wo wohnen Sie, Sascha, hier im Ort?«
    »Nein, ich bin mit dem Bus gekommen, und vorher mit der Metro. Er weiß nicht, dass ich hier bin.« Sascha blieb stehen. »Er hat mich das ganze Wochenende nicht angerufen. Haben Sie ihn etwa schon verhaftet? Dann
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