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Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens
Autoren: Tatjana Stepanova
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müssen Sie mich aber auch festnehmen. Das ist ja alles nur meinetwegen passiert!«
    »Also wo genau wohnen Sie, Sascha?«, wiederholte Nikita hartnäckig, ohne auf ihre unverständlichen Fragen einzugehen.
    »Ich? Zur Zeit in Medwedkowo.«
    »Bei Ihren Eltern?«
    »Nein, meine Mutter und meine Schwester leben in Twer. Hier in Moskau wohne ich allein.«
    »Studieren Sie oder arbeiten Sie hier?«
    »Ich studiere an der Hochschule für Design.«
    »In welchem Semester?«
    »Im vierten.«
    »Und wie heißen Sie mit Nachnamen?« Kolossow öffnete ihr die Tür zu seinem Büro.
    »Maslowa.« Sascha setzte sich auf den angebotenen Stuhl. »Verstehen Sie, ich wusste die ganze Zeit nicht, wie ich mich verhalten sollte. Ich hatte Angst, dass etwas passiert. Und heute beschloss ich, zu ihm zu fahren, um endlich Gewissheit zu haben. Ich kam an, fuhr mit dem Lift nach oben, klingelte an seiner Tür, und da kam seine Nachbarin heraus – er ist am Freitag, sagt sie . . . er ist am Freitag gestorben.« Sascha schluchzte auf. »Man hat ihn vom- Balkon gestoßen, sagt sie . . . und ich . . .«
    »Nicht doch, Saschenka, nicht weinen.« Kolossow goss ihr eilig ein Glas Wasser ein und suchte nach einem Taschentuch. »Wie stehen Sie denn zu Maxim Studnjow, ist er mit Ihnen verwandt oder befreundet?«
    »Sagen Sie mir zuerst, was ist mit ihm geschehen?«, rief Sascha verzweifelt.
    »Leider ist er tatsächlich tot. Er ist vom Balkon seiner Wohnung gefallen.«
    »Gefallen?« Saschas Augen wurden vor Schreck ganz groß. »Wie ist das passiert, haben sie sich geprügelt?«
    »Sascha, wer ist dieser Studnjow – ein Verwandter von Ihnen, ein Bekannter?«, wiederholte Kolossow hartnäckig.
    »Er . . . Wir sind früher miteinander gegangen. Noch bevor . . . Aber das ist alles schon lange vorbei!«
    »Bevor was?«
    »Bevor ich Iwan kennen gelernt habe . . . Iwan Grigoijewitsch.« Sascha senkte den Kopf. »Es war wirklich nur ein dummer Zufall am letzten Mittwoch. Ich habe Maxim zufällig getroffen, verstehen Sie? Ich war bei Lilja Tumanjan; sie ist Designerin und entwirft Kleider und Dekostoffe, sie hat einen Salon und eine Werkstatt in der Kislow-Gasse. Ich kaufe mir dort manchmal Klamotten, früher habe ich dort auch gejobbt. Und Maxim hat dort auch manchmal geschäftlich zu tun. Nun, und da habe ich ihn eben getroffen. Rein zufällig! Er hat zu Lilja und mir gesagt: Kommt, Mädels, wir fahren irgendwohin, wo man gemütlich zusammensitzen kann. Es war sowieso gerade Zeit zum Lunch, und Lilja und ich sind mitgefahren. Wir waren in einer Bar, dann ist Lilja zurück ins Geschäft gefahren, und Maxim und ich . . . Er hat mir angeboten, mich nach Hause zu bringen, er war ja mit dem Auto da. Und Iwan Grigorjewitsch wollte mich von zu Hause abholen, und da sind wir direkt vor meinem Haus zusammengestoßen. Ich habe mich richtig erschreckt, so ein Gesicht hat er gemacht. . .«
    »Wer hat ein Gesicht gemacht?«, unterbrach sie Kolossow. »Dieser Iwan Grigoijewitsch?«
    »Ja doch! Er wurde ganz furchtbar bleich! Er hat mich so heftig gepackt und festgehalten, dass er mir fast den Arm gebrochen hätte. Und zu Maxim hat er gesagt: Verschwinde von hier, sonst schlage ich dich zu Brei . . . oder mache dich fertig . . . Ich wollte ihm erklären, dass gar nichts gewesen sei, dass wir nur in einer Bar gesessen und Kaffee getrunken haben . . .«
    »Und was war weiter?«
    »Nichts. Iwan Grigoijewitsch hat mich in meine Wohnung gebracht. Ich wollte ihm alles erklären, aber er . . . er ist weggegangen und hat die Tür zugeknallt. Und das ganze Wochenende hat er nicht angerufen und ist auch nicht gekommen. Sein Handy hat er abgestellt. Und auf dem Tisch in der Diele fand ich . . . Nein, es ist alles so furchtbar, ich habe gleich gewusst, dass etwas Schlimmes passieren würde. Er wollte mir das schenken, aber dann hat er mich mit Maxim gesehen und hat es mir nicht gegeben, sondern einfach auf den Tisch in der Diele geworfen . . .«
    »Was hat dieser Iwan Grigorjewitsch auf den Tisch in der Diele geworfen?« Kolossow verlor langsam die Geduld.
    »Hier, ich habe es bei mir.« Sascha kramte in ihrer mit Fransen besetzten Wildledertasche, förderte eine herzförmige kleine Schachtel aus rosa Saffian zutage und öffnete sie.
    Kolossow erblickte einen Ring mit einem Brillanten. Der Ring sah ziemlich teuer aus – Weißgold, eine kunstvolle Juweliersarbeit.
    »Wie ich den Ring gesehen habe, wurde mir ganz unheimlich. Ich dachte, dass . . . Ich wollte Maxim anrufen, ihn
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