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Das Wunder von Treviso

Das Wunder von Treviso

Titel: Das Wunder von Treviso
Autoren: Susanne Falk
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dazu sagen», antwortete Nonna Cristina und war insgeheim doch sehr froh, dass sie das Kind nicht in eine Aufführung von «La Traviata» mitgenommen hatte. Wer weiß, welche Auswirkungen das gehabt hätte, wenn das Kind schon den Verführungskünsten eines einfachen Barbiers erlag?

Erster Teil

1
    In der Gemeinde von Treviso pflegte man viele Weisheiten. Eine davon war diese: Gott sieht alles, nur Treviso hat er noch nie bemerkt. Und in der Tat war es nur auf sehr detaillierten Landkarten verzeichnet. Im Gegensatz zur gleichnamigen Stadt in Venetien hatte dieses Treviso nichts Touristisches an sich, jedenfalls nicht mehr als jeder andere kleine Ort in der Umgebung auch.
    Man führte ein ruhiges Leben in Treviso, geprägt von Arbeit und Langeweile und den wenigen Pausen zwischen Arbeit und Langeweile, die man mit Essen füllte. Der Ort hatte ganze 1377 freundliche Einwohner und ausnehmend unspektakuläre fünfzehneinhalb Meter lange Überreste einer alten Römerstraße vorzuweisen. Daneben gab es ein einziges Lokal, nämlich die Trattoria von Massimo, der neben dem Hauptgeschäft auch einen kleinen Eissalon unterhielt und bei Bedarf Festtagstorten verkaufte. Und es gab den Friseurladen von Luigi, der zwar altmodisch, aber bei den Einwohnern sehr beliebt war. Das kleine Postamt war fast immer geschlossen, und die schlechtsortierte Enoteca umging man besser weitläufig, bevor man auf die Idee kam, dort so etwas wie Wein zu erwerben.
    Treviso hatte eine Grundschule, ein winziges Rathaus, eine spätgotische Kirche, und bis letzten Monat gab es hier auch ein Blumengeschäft, das nun geschlossen war. Das eigentliche Herzstück des Ortes aber war der Supermarkt von Vito Corrisi, der alles verkaufte, was man brauchte – oder auch nicht brauchte. Dazu zählten neben Lebensmitteln sämtliche Drogerieartikel, Schuhe, Schreibwaren, Lampenschirme sowie eine Sammlung von abgelaufenen Kalendern mit niedlichen Hunde- und Kätzchenmotiven, Rennwagen, Jesus Christus und Johnny Depp. Und es war jeden Samstag Markttag auf dem Campo. So gesehen hatte man beinahe alles vor Ort, worüber vor allem die alten Leute sehr froh waren. Junge Menschen gab es nur wenige. Man war zufrieden in Treviso, glücklich war man selten.
    Dagegen war das Nachbardorf Castello della Libertà einst zu zweifelhaftem Ruhm gelangt und weit über den Landstrich hinaus bekanntgeworden. Nicht, dass Gott es bemerkt hätte, nein, viel wichtiger: Der leibhaftige Duce war eines Tages hier durchgekommen, hatte während seines Aufenthaltes drei Gläser Milch getrunken und den Ort auf seinen heutigen Namen umgetauft. In der Tat war Castello della Libertà das einzige Dorf in der Provinz, das seinen Namen aus der Zeit des Faschismus behalten hatte, denn der ließ sich grandios vermarkten. In Castello gab es nicht nur immer noch ein Hotel mit dem Namen «Il Duce», sondern auch eine Bäckerei «Da Benito», die als Spezialität des Hauses eine kuppelförmige Torte verkaufte, welche dereinst so berühmten Glatze Mussolinis nachempfunden war. Und im Rathaus von Castello della Libertà hatte man eine Plakette zu Ehren der Kuh angebracht, deren Milch dem abstinenten Duce so gut geschmeckt hatte.
    Castello della Libertà konnte also eine touristische Attraktion vorweisen, Treviso dagegen nicht – ein Umstand, der sich in naher Zukunft ändern sollte.

2
    Die Sonne schien, und es war bereits jetzt, an einem gewöhnlichen Dienstagvormittag, schon heißer, als es in der Vorhölle je sein konnte. Das war Treviso im August. Don Antonio, der Pfarrer des Ortes, legte die Hacke beiseite, mit der er in der trockenen Erde seines nahezu vollständig verdorrten Kräutergartens herumgestochert hatte, und blickte auf. Der Kirchturm von Santa Maria degli Angeli lag ostwärts im Morgendunst, rechts daneben zog sich die Mauer des ehemaligen Klosteranwesens einige Meter bis zu den drei großen Zypressen, die direkt am Rand der Hauptstraße standen und von den Abgasen der Autos und Motorräder schon recht schütter geworden waren. Die mittlere würde er wohl im Herbst fällen lassen müssen. Bloß von wem? Der Küster war erst vor drei Wochen an der Hitze gestorben, Gott hab ihn   … und seine Haushälterin, Rosa, hatte er mit fünfundsiebzig Jahren in die Pension entlassenmüssen, als das Sozialamt vorstellig geworden war und sie für arbeitsunfähig erklärt hatte. Rosa hatte geschimpft und gebrüllt, der Beamte solle seinen fetten Hintern vom Kirchengrund bewegen und sie in Ruhe lassen.
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