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Das Wunder von Treviso

Das Wunder von Treviso

Titel: Das Wunder von Treviso
Autoren: Susanne Falk
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Dabei schlug sie ihn fast mit ihrer medizinischen Krücke, die sie seit der zweiten Hüftoperation ständig bei sich trug – und Don Antonio hatte begriffen, dass er fortan allein die Pfarrei führen musste.
    Der Schweiß rann ihm von der Stirn. Eigentlich hätte er mit siebenundsechzig Jahren auch Anspruch auf einen Platz in irgendeinem Kloster gehabt, wo er sich zur Ruhe setzen konnte, aber er bevorzugte das Leben als aktiver Geistlicher und gedachte, dieses auch bis ins hohe Alter hinein weiterzuführen, solange man ihn ließ.
    Der Pater ging zurück zum Pfarrhaus, das an die Kirche Santa Maria anschloss, um zu pinkeln. Er wurde nicht jünger, und der viele Wein, den er beim gestrigen Treffen mit Don Cristobaldo getrunken hatte, tat weder seinen Organen noch seinem Ruf gut. Er würde zur heutigen Buße eine halbe Stunde betend im Altarraum zubringen. Oder er würde die Altarlüster putzen. Ja, das würde er tun, denn die Lüster hatten es wahrhaftig nötig.
    Das Telefon klingelte. Don Antonio wartete, ob es wohl von selbst aufhören würde. Vierzehn, fünfzehn   … nein, es half nichts.
    «Pronto?»

3
    Zur selben Zeit in demselben Ort tauchte der Friseur Luigi sein Cornetto in den morgendlichen Cappuccino und dachte nach. Der Laden ging schlecht, die Kundschaft starb langsam aus, und er ermüdete, wenn er die dritte Dauerwelle des Tages auf dem Kopf einer Neunzigjährigen richten musste. Zwar war sein Laden immer noch der Umschlagplatz allen Klatsches und Tratsches, aber was gab es in einem so kleinen Dorf schon zu erzählen? Die Tochter von Massimo hatte wieder geheiratet, drüben in Castello della Libertà, und war nun das zweite Mal schwanger. Die Scheidung war ohne großes Aufsehen über die Bühne gegangen, man hatte sich gegenseitig betrogen, und letztlich war die Trennung in friedlichen und polygamen Bahnen verlaufen. Was also gab es dazu noch groß zu sagen? Menschen wurden geboren, wurden erwachsen, heirateten, kriegten Kinder, und irgendwann starben sie wieder.
    Luigi fühlte sich elend. Um dreizehn Uhr dreißig würde er, wie jeden Mittag, seinen Laden schließen und in die Trattoria hinübergehen, um dort eine Kleinigkeit zu essen. Dann würde er die
Repubblica
aufschlagen und sich über die Regierung ärgern, sein Blutdruck würde in die Höhe schnellen. Massimo, der Besitzer der Trattoria, würde sagen, er solle sich nicht immer so aufregen. Und dann würde Luigi zurück in seinen Friseursalon spazieren und weiter auf Kundschaft warten.
    Luigis Frau war vor drei Jahren gestorben, und seitdemwar er an manchen Tagen mehr als nur ein wenig einsam. Chiara fehlte ihm, sie fehlte ihm so sehr, dass er nachts das Betttuch an sich drückte, um sich überhaupt an irgendetwas festhalten zu können, und dann weinte er still und ohne Tränen.
    Wenn Luigi morgens den Friseursalon betrat, dann roch er, was er seit Jahrzehnten gerochen hatte: Haarspray der Marke Evolvia, Shampoo und Schaumfestiger, Haarwasser für die Männer. Für die Kinder hatte er einen Plastikeimer mit Lutschern auf der Anrichte stehen, neben dem kleinen Elefanten, einer Karussellfigur, auf dem die Kinder saßen, wenn er ihnen die Haare schnitt. Der Elefant roch leicht nach Möbelpolitur und der Fußboden nach dem antibakteriellen Zeug, das ihn seine Schwester nötigte zu kaufen.
    Jetzt saß Luigi auf einem der drei roten, gepolsterten Kunstledersessel, seufzte tief und starrte auf die heruntergelassenen Jalousien. Er stand auf, trug die Cappuccinotasse in die kleine Küche, die sich hinten an den Laden anschloss, wischte die Krümel des Cornettos vom Tisch, fuhr sich mit der rechten Hand zweimal über den Kopf und ging dann nach draußen, um seinen Laden zu öffnen.

4
    «Pronto?»
    «Don Antonio?»
    «Sì?»
    «Hier spricht Mario, Mario Fratelli.»
    Heilige Muttergottes, der Bürgermeister!, dachte Don Antonio. Der hat mir gerade noch gefehlt!
    «Don Antonio? Hören Sie mich?»
    «Äh   … was gibt es?»
    «Ich wollte mit Ihnen über die Hochzeit meines Sohnes sprechen.» Piero, der Sohn des Bürgermeisters, hatte vor, in drei Wochen die äußerst reizende Luisa zu ehelichen, eine Nichte Don Antonios. Der Pater konnte weiß Gott nicht verstehen, was Luisa an diesem Aufschneider fand. Aber bitte.
    «Was ist mit der Hochzeit?»
    «Nun, Pater, ich weiß, dass ich Sie mit derlei weltlichen Dingen eigentlich nicht behelligen sollte, aber ich wollte doch noch einmal über die Dekoration mit Ihnen reden.»
    Die Kirche war seit Jahren in
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