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Das Wunder von Treviso

Das Wunder von Treviso

Titel: Das Wunder von Treviso
Autoren: Susanne Falk
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Verzückung selbst, denn diese hatte eine azurblaue Färbung und war als einzige Figur nicht mit Goldschmuck übersät. Allerdings hatte man ihr den Heiligenschein und ihre mit winzigen Saphiren besetzten blauen Augen geraubt. Sie wurde fortan in der Krypta aufbewahrt, denn die blinde Madonna passte schließlich gut an einen Ort, an dem man vor lauter Dunkelheit ohnehin nichts sehen konnte. Das Deckenlicht war seit Jahren kaputt und konnte aus Geldmangel nicht repariert werden.
    An diesem Morgen schlich sich Don Antonio hinunter in die Krypta und begab sich auf die Suche nach derblinden Madonna. «Au», fluchte er, als er sich an einem Steinsarg stieß. «Dio mio, wo ist das Ding bloß?»
    Es roch modrig, und der Staub lag zentimeterdick in den Seitenlogen. Irgendwo hinter einem alten, verdorrten Blumenkranz, dem Weihnachtsschmuck von vor zehn Jahren, und einigen halbzerschlagenen Altarvasen kam die Statue schließlich zum Vorschein. Sie war in eine Plastiktüte gehüllt, und als er sie herauszog, sah er, dass sie natürlich noch genauso unansehnlich wie kurz nach dem Krieg war. Don Antonio war damals Messdiener in ebendieser Kirche gewesen, und sein längst verstorbener Beichtvater Don Ignazio hatte ihn einmal hier hinuntergeschickt, um nach alten Tüchern zu suchen, weil die Kirche ausgemalt werden sollte. Unter einem Malertisch hatte der junge Antonio sie dann erblickt, die blinde Madonna, und dort stand sie auch heute noch.
    Don Antonio setzte sich auf einen Stuhl mit dreieinhalb Beinen, hielt die Figur in den Händen und erinnerte sich.
    «Ach, die hatte ich ganz vergessen», hatte Don Ignazio damals gesagt, als er ihm in den Keller gefolgt war und Antonio mit der blinden Madonna im Arm erblickt hatte. «Das arme Kind. Die Deutschen waren nicht sehr nett zu ihr.»
    «Was ist mit ihr geschehen, Pater?», hatte Antonio gefragt.
    «Ach, Junge, lass es gut sein. Es war kein guter Tag für Treviso, als die Deutschen die Madonna schändeten.»Und Don Ignazio hatte tief geseufzt und der Toten gedacht, die diese Zeit hier und überall auf der Welt gekostet hatte. «Es war kein guter Tag.»
    Daran dachte Don Antonio jetzt, als er in derselben Krypta auf wahrscheinlich demselben Stuhl saß wie vor fünfundfünfzig Jahren.
    «Don Ignazio, meinst du, ich soll es wagen?», fragte Don Antonio ins Dunkel hinein.
    «Das sollst du nicht mich, sondern den Herrn fragen!», antwortete Don Ignazio prompt.
    «Glaubst du, der Herr hat für solcherlei Pläne etwas übrig?», fragte Don Antonio.
    «Mein Sohn», erwiderte Don Ignazio, «der Herr hat mehr Humor, als man ihm gemeinhin zutraut.»

9
    Und tatsächlich stellte der Herr seinen Humor schon wenig später unter Beweis. Er bedachte den Pater mit einem Hexenschuss. Den zog er sich zu, als er die Madonna noch in derselben Nacht von der Krypta in den pfarramtlichen Keller schleppte und dort zwischen alten Gläsern auf einem wackeligen Regalbrett verstaute. Nun lag Don Antonio im Bett.
    Treviso hatte vielleicht nicht viel zu bieten, aber einen Arzt hatte man immerhin doch. Und der Doktor kam, so schnell er konnte, was man ihm hoch anrechnenmusste, denn immerhin war er schon fünfundsiebzig Jahre alt und litt stark an seinem Ischias.
    «Pater, was haben Sie nur getan, dass Sie sich einen solchen Hexenschuss eingehandelt haben?»
    «Ich habe den Teufel versucht!», antwortete Don Antonio.
    Doktor Lorenzo schüttelte den Kopf. «Nein, Pater, ich glaube, der Teufel war hier nicht beteiligt.»
    «Wenn Sie wüssten, Dottore, wenn Sie wüssten!»
    Doch der Doktor wusste es nur zu gut, witterte er doch, dass seit Jahrzehnten das erste Mal etwas im Busch war, was den Pater offensichtlich so beunruhigte, dass er deshalb krank wurde. Seit er ein Buch über psychosomatische Beschwerden gelesen hatte, unterstellte er seinen Patienten mit Vorliebe ein Mindestmaß an Beknacktheit.
    «Ich glaube eher, Sie vertragen den Temperaturunterschied zwischen den Kirchenräumen und draußen nicht mehr.»
    «Oder es liegt an der Gartenarbeit», sagte Don Antonio.
    «Das wird’s wohl sein», stimmte der Doktor zu. Eine weitere Diskussion schien sich zu erübrigen. «Sie brauchen dringend ein paar Tage Bettruhe. Ich gebe Ihnen noch eine Spritze gegen die Schmerzen und sehe morgen wieder nach Ihnen. Haben Sie jemanden, der sich um Sie kümmert?»
    «Ich könnte meine Nichte anrufen.»
    «Tun Sie das, Pater, tun Sie das.»
    Kurze Zeit später klingelte in Castello della Libertà ein Telefon. Don Antonio setzte
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