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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert
Autoren: Kai Meyer
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ändert auch die Bindung nichts, die das Chi zwischen uns geschaffen hat. «
    » Vielleicht ist es nicht nur das Chi. «
    Waren das Tränen in ihren Augen? » Würde das nicht alles nur noch schlimmer machen? «
    » Bleib hier. Sprich mit Li. «
    Unglücklich lachte sie auf. » Er würde versuchen, mich zu töten. «
    » Dann spreche ich mit ihm. Mir wird er zuhören! «
    » Du verstehst noch immer nicht, oder? Ich werde Li irgen d wann umbringen. Ihn und seine Brüder Guo Lao und Tieguai, und dann wird keiner der Unsterblichen mehr übrig sein. Nur deshalb lebe ich noch. «
    » Aber warum? « Er schrie es fast, als er aufstand und auf sie zu trat. » Wie zwingt er dich dazu? «
    Ein Zucken lief durch ihren Körper, wie von eine m p lötzlichen Stich in den Rücken. Für einen Moment sackten alle Seidenba h nen in sich zusammen, leblos und schlaff. Gleich darauf aber erhoben sie sich wieder, und Mondkinds Haltung war abermals aufrecht und erhaben. » Ich habe eingesehen, dass er Recht hat. « Sie senkte den Blick, schuldbewusst und traurig. » Der Aether entsteht aus lebenden, atmenden Wesen. Er ist der Atem der Drachen, ob sie es wollen oder nicht … Die Götter haben die Welt erschaffen, aber ihre Zeit läuft ab. Mit dem Aether hat sich die Welt ihren eigenen Meister geschaffen, keine fernen, unwirklichen Gottheiten, sondern etwas, das aus ihr selbst aufsteigt und sich sogar den Himmel Untertan macht. Er gehört zu uns, begreifst du? Wenn der Aether siegt, dann siegen wir. Die Welt führt Krieg gegen den Himmel, und sie weiß es nicht einmal, weil der Aether die Schlacht für sie schlägt. «
    » Aber die Welt will diesen Krieg nich t «, behauptete er.
    » Trotzdem ist er gerecht. Der Aether wird immer das Richtige tun. Er ist unser Gewissen, unsere Moral, und er tritt ein für unsere Freiheit. « Sie atmete tief durch. » Und er erwartet nicht, dass wir es verstehen. «
    » Weil es nichts zu verstehen gibt. Weil das, was er tut, U n recht ist. Weil das, was du tust – «
    » Unrecht ist? « Sie ließ es wie eine Frage klingen, aber er glaubte, dass sie in Wahrheit zustimmte. Noch jemand schien dieser Meinung zu sein, denn erneut durchfuhr ein Beben ihren Leib, als hätte eine unsichtbare Macht ihr einen Schlag versetzt.
    Er fing sie auf, als sie zusammenzubrechen drohte, hielt ihren federleichten Körper im Arm wie eine Nachtigall mit gebroch e nen Schwingen. Sacht zog er sie an sich, un d f ür Augenblicke vergrub sie das Gesicht an seiner Schulter. Es war eine erschü t ternd menschliche Geste für ein Mädchen, das eigentlich gar keines mehr war. Er hätte niemals geglaubt, sie einmal so verletzlich zu sehen.
    Warum nur war sie hergekommen? Wegen dir, flüsterte es in ihm. Die einzige Wahrheit in all dem ist, dass sie dich liebt. Und du liebst sie.
    Ich kenne sie nicht. Sie kennt mich nicht. Wir können uns gar nicht lieben.
    Aber dann sah er sie wieder an, als sie die Augen hob, sah die Sanftheit in ihrem Blick, die den Schrecken ihrer Taten vern e belte. Da wusste er, dass er sie immer lieben würde. Was scherte ihn das Warum.
    » Ich muss gehe n «, sagte sie.
    » Nein. Bleib hier, bitte. «
    » Li und die anderen werden jeden Moment hier sein. Und ich bin noch zu schwach, mich ihm zum Kampf zu stellen. «
    » Dann kämpfe nicht mit ihm. «
    Abermals lächelte sie. » Ach, Niccolo … « Sie löste sich von ihm, aber er spürte kaum, wie sich ihr Gewicht aus seinen Armen hob. Immer blieb etwas von ihr zurück wie der Nachhall einer leisen, unendlich traurigen Melodie.
    » Wo willst du denn hin? «, fragte er, als sie sich rückwärts von ihm entfernte, ganz langsam, so als wäre da etwas, das sie festhielt.
    » Ich bin noch immer zu schwach, um es mit Li selbst aufz u nehmen. Guo Lao habe ich schon einmal besiegt, aber sicher ist er so weit von hier geflohen, wie er nur konnte. Bleibt vorerst nur Tieguai, der Einsiedler. Ihn werde ich suchen. «
    Seine Stimme war so rau, dass es wehtat. » Und mit seiner eigenen Waffe töten? «
    » Ja. « Eine Träne rollte über ihre Wange.
    » Tu das nicht. «
    Aber da verschwand sie schon und tauchte erst wieder am Rand der Plattform auf. Ihr Federflug war dem Wisperwinds um ein Vielfaches überlegen. Er streckte vergeblich den Arm nach ihr aus. Sie aber schüttelte den Kopf und stieß sich von der Kante ab, sprang hinaus in die Lavaglut und verschmolz mit der flirrenden Luft. Der Federflug trug sie mit wenigen Sätzen zum Westufer hinüber.
    Einen Moment später
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