Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
Puder von ihrer Mutter benutzen.
    Doch das Abendessen, wie verwandelt wenn die Reads Gäste hatten, war eine kultivierte und elegante Angelegenheit. Jordan Read war höflich, Lydia charmant, und Maia selbst sprühte. Die Blicke der beiden Herren, Mamas Cousin Sydney und Mr. Merchant, der in Cambridge ein Geschäft hatte, folgten ihr überallhin. Wären sie in der Eisenbahn gewesen, dachte Maia, wieder versucht zu lachen, wie viele Punkte hätte sie gemacht?
    Als sie gegangen waren und Maia wieder in ihrem Zimmer saß, tat ihre ungewisse Zukunft sich wie ein Abgrund vor ihr auf. Sie sah sich als kleine Verkäuferin in einem Modegeschäft oder als Mathematiklehrerin an irgendeiner öden Mädchenschule. Ihre Mutter würde sie verlassen, das wußte sie jetzt, und ihr Vater – sie konnte sich nicht vorstellen, was aus ihrem Vater werden würde. Obwohl ihr seit langem klar war, daß es keine Sicherheit gab, erkannte sie jetzt, daß Sicherheit, wie alles andere, etwas Relatives war. Die Schule langweilte sie, aber sie fürchtete sich davor, sie verlassen zu müssen. Dieses Haus war schäbig, aber es gab viele, die weit schäbiger waren. Wenn ihre Eltern sich trennten, bei wem würde sie leben?
    Ich besitze nichts, dachte Maia niedergeschlagen. Sie legte ihr Kleid ab, ihre Strümpfe, ihre Unterwäsche. Als sie das Kleid in den Schrank hängte, musterte sie sich im Spiegel. Die langen weißen Glieder, der kleine, hohe Busen, der flache Bauch. Und ihr Gesicht: Die Lippen wie ein Amorbogen geformt, kurzes dunkles Haar, blaue Augen.
    Sie besaß doch etwas. Eine ganze Weile stand sie da und starrte ihr Spiegelbild an und wußte, daß sie im Gegensatz zu ihrem Vater ihr Vermögen klug anlegen würde.
    In den folgenden Wochen führten Lydia und Jordan Read getrennte Leben. Sie nahmen die Mahlzeiten niemals zusammen ein und sprachen kaum miteinander. Lydia war viel aus; Jordan hielt sich in seinem Arbeitszimmer auf. Maia hatte keine Ahnung, wie er die Zeit verbrachte.
    Zum Halbjahr ging Maia von der Schule ab. Sie begann zu arbeiten, fünf Vormittage in der Woche als Gouvernante zweier kleiner Mädchen. Die Mädchen waren ganz niedlich, aber die Arbeit langweilte Maia, die Kinder nie interessiert hatten. Immerhin, es vertrieb ihr die Zeit. Sie ahnte, daß etwas Schreckliches, Unaufhaltbares geschehen würde. Sie sparte die Hälfte ihres Lohns und gab den Rest für Kleidung aus, weil sie um keinen Preis arm oder mutlos aussehen wollte. Zwei Abende in der Woche besuchte sie einen Buchhaltungskurs, wo sie ihre Rechentalente wiederentdeckte. Als Buchhalterin zu arbeiten, konnte sie sich dennoch nicht recht vorstellen. Bei dem Wort dachte sie an Hornbrillen und schlechtsitzende Tweedkostüme.
    Sie saß im Wohnzimmer und nähte, als es draußen läutete. Es war ein Mittwochnachmittag, und ihr brummte der Kopf von Bruchrechnungen und unregelmäßigen französischen Verben. Wegen der Augusthitze hatte sie die Jalousien im Wohnzimmer halb heruntergezogen. Sonnenlicht flirrte auf den grün und cremefarben gestreiften Wänden und dem gewachsten Holzfußboden.
    Da Sally nicht öffnete, ging Maia zur Tür. Draußen wartete Lionel Cummings, der Vorsitzende des Tennisklubs ihrer Mutter. Er war um die Vierzig, leicht übergewichtig und trug einen Schnurrbart. Er hatte einen gestreiften Blazer an, eine weiße Flanellhose und hielt einen Strohhut in der Hand.
    Maia bat ihn, im Wohnzimmer zu warten, während sie ihre Mutter holte. Ihre Eltern waren im Garten, ausnahmsweise einmal zusammen, und sie bemerkte den Blick ihres Vaters, als sie den Namen des Besuchs nannte. In diesem Augenblick haßte sie ihre Mutter; so leidenschaftlich, daß es ihr körperlich weh tat und sie so schnell wie möglich zur Terrasse zurücklaufen mußte.
    Lionel Cummings stand auf, als Maia ins Wohnzimmer kam.
    »Mutter pudert sich nur noch die Nase. Sie werden sich ein paar Minuten mit meiner Gesellschaft begnügen müssen, Mr. Cummings.«
    Er zwirbelte seinen albernen Schnurrbart. »Ich bin entzückt, Miss Read. Ein Vergnügen.«
    Sie haßte auch ihn, für die rücksichtslose Verachtung gegen ihren Vater, die sein Besuch in diesem Haus zeigte. Sie wollte ihre Mutter dafür bestrafen, daß sie ihren Vater quälte, und sie wollte diesen dummen, eitlen Menschen dafür demütigen, daß er an der Zerstörung ihrer Familie mitwirkte.
    Sie setzte ihr gewinnendstes Lächeln auf. »Ein heißer Tag, nicht wahr, Mr. Cummings? Soll ich Ihnen etwas Kaltes zu trinken holen?«
    Er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher