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Das weisse Meer

Das weisse Meer

Titel: Das weisse Meer
Autoren: Stefanie Sourlier
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Jacques. Aufgescheucht flattern die Enten gegen das Gitter. Jacques verkauft sie als Köder für die Jagd; die Jäger lassen sie über das Wasser fliegen, und wenn ihre wilden Artgenossen ihnen aufflatternd folgen, fallen diese nach wenigen gezielten Schüssen tot vom Himmel. Neben dem Entenkäfig dümpeln rote und hellblaue Fischerbote im Wasser. Am Ufer liegen die schlauchförmigen Fischernetze ausgebreitet in der Sonne, zwischen den filigranen Schnüren spannt sich eine feine Algenschicht.
    Die Fenster des Geisterhauses sind zugemauert. Als wollten sie den Geist einsperren, meint meine Freundin. Oder die Jugendlichen aussperren, sage ich. Meine Freundin und Paul haben sich schon auf dem Steg niedergelassen und halten ihre Angeln ins Wasser, ich bleibe oben bei der Ruine. Es gibt nur zwei Angeln. Mit jedem Windstoß dringt der faulige Geruch stehenden Wassers zu mir. Ich ziehe die Sandalen aus, die dünnen Riemchen haben rote Striche auf meinen staubigen Füßen hinterlassen, ich gehe, vorsichtig zwischen die Scherben tretend, zum Ufer. Der Boden ist mit eingetrocknetem Schlamm bedeckt, die poröse Algenschicht bricht unter meinen Füßen. Die Schilfstengel ragen hoch in den Himmel, dahinter glänzt golden das Wasser.
    Meine Freundin hat einen Regenwurm gefunden, wegen der Hitze nurmehr halb lebendig, wir haben Schinkenstückchen dabei. Es gibt Fische und Fische, sagt meine Freundin, die einen beißen nur bei lebendigem Köder, die andern auch bei Aas. Wir müssen erst kleinere Fische fangen, meint sie weiter, um sie dann als Köder für die größeren zu benutzen, vor allem für die Aale, die gehen nur auf lebendige Köder. Der Aal ist das Schutztier des Dorfes, an einigen Häusern hängen Plaketten mit dem Bild des schlangenartigen Fisches. Die Aale gehörten früher zu den meistgefangenen Fischen im Étang. Aber wegen der schlechten Wasserqualität soll sich die Population in den letzten Jahren um mehr als die Hälfte verringert haben. Das Blut der Aale wurde früher zur Heilung von Wahnsinnigen verwendet, zumindest behaupten das die Alten im Dorf. Ihr glaubt doch nicht ernsthaft daran, Aale zu fangen, sage ich.
    Paul stößt ein undefinierbares Geräusch aus, gefolgt von einem Schrei meiner Freundin. Er dreht an der rostigen Kurbel und zieht einen mittelgroßen Fisch aus dem trüben Wasser. Der Fisch liegt zuckend auf den Holzplanken des Stegs in der Sonne. Du musst ihn töten, sage ich zu Paul, am besten mit einem Stein. Paul hat keinen Stein. Der Fisch ist bestimmt zu klein, sagt meine Freundin und verzieht das Gesicht, wir sollten ihn besser wieder ins Wasser werfen. Ich gehe zum Ufer und finde einen Stein, den ich Paul reiche. Paul hält den zappelnden Fisch am Schwanz fest. Der Fisch ist bläulich silbern geschuppt, am Bauch fast weiß, er hat kleine gestreifte Flossen. Sein Maul, in dem immer noch der Haken steckt, ist weit geöffnet. Paul schlägt mit dem Stein auf den Fisch, ich sehe ihm nicht in die Augen.
    Igitt, das Auge, schreit meine Freundin. Das Fischauge steht leicht hervor und glotzt uns an. Paul hat den Fischschwanz losgelassen. Der Fisch zuckt immer noch. Das sind nur die Nerven, sage ich, nehme Paul den Stein aus der Hand und schlage mit aller Kraft zu.
    Zu Hause wasche ich den Fisch und schabe ihm mit einem Messer die silbernen Schuppenblättchen ab. Er glänzt nun kaum mehr, und das weiße Fischfleisch ist in den symmetrisch angeordneten, wabenförmigen Löchern sichtbar. Die oberen Flossen können bewegt und fächerartig ausgebreitet werden. Ich schneide ihm den Bauch auf und greife mit Daumen und Zeigefinger zwischen Skelett und Fleisch, nehme die Gedärme und blasenartigen Gebilde heraus. Ich spüle die offene Bauchhöhle des Fisches aus und schiebe Salz, Gewürze und Knoblauchstücke hinein. Meine Freundin schaut mir zu. Der Fisch, den ich im Backofen mit verschiedenen Gemüsen gare, schmeckt etwas bitter, da ich wohl beim Ausnehmen die Gallenblase zerstört habe, was man nicht tun sollte. Paul und meine Freundin essen demonstrativ nur die Kartoffeln.
    Ich stehe neben dem verrückten Jacques in der engen Telefonzelle an der Straßenkreuzung, um die Ecke soll eine Party in einem Keller stattfinden. Jacques bröselt etwas weißes Pulver aus einem Plastiksäckchen und schiebt es mit meinem Personalausweis auf der silbernen Oberfläche des Telefons zu zwei schmalen Straßen. Er hat mir den Telefonhörer gegeben und sagt, ich solle so tun, als ob ich telefoniere; ich presse den Hörer ans
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