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Das weisse Kaenguruh

Das weisse Kaenguruh

Titel: Das weisse Kaenguruh
Autoren: Matthias Praxenthaler
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Billy den Sinn seines Systems. »Aber nur, wenn man selber Zeit hat, kann man abwarten, bis der richtige Moment gekommen ist. Ich kann das zum Glück. Warten. Wenn es notwendig ist. Deshalb bin ich ja auch so reich. Menschen, die nicht warten können, sind immer arm.«
    Es war ein riesiges Netz und Johann die fette, entspannte Spinne in seiner Mitte. Billy staunte die Klötze aller Baustellen zusammen, als er zum ersten Mal die Dimension des Ganzen überriß. Die beiden waren gerade vom Maßnehmen aus London zurück, da wurde er von Johann eingeführt. Und allein vom Hingucken war Billy ganz schwindelig geworden. Vom Köln-Bonner Flughafen aus waren sie auf direktem Weg in die Eifel zu einer alten Fabrik gefahren, die am Rande einesmausetoten Kaffs lag und schon lange keinen Menschen mehr beschäftigte. Das mittlerweile völlig verwilderte Areal war locker 10 000 Quadratmeter groß und komplett von einem einfachen und löchrigen Drahtzaun umgeben. Einzige Zufahrt war ein asphaltierter Weg, der kurz vor dem Ortsschild von der Hauptstraße abzweigte. Der Weg war etwa zwanzig Meter lang und endete – zunächst – vor einem morschen Holztor, das lediglich mit einer rostigen Kette und einem nicht gerade beeindruckenden Vorhängeschloß verschlossen war.
    »Hier lagern die Schätze aus dem Westen der Republik«, sagte Johann, als er mit seinem Citroen SM vor dem Tor angehalten hatte.
    »Ziemlich schlecht gesichert für eine Schatzkammer«, sagte Billy.
    »Gänse!« entgegnete Johann nur.
    »Gänse«, wiederholte Billy.
    »Die beste Alarmanlage der Welt.« Johann stieg aus, schloß das Tor auf, fuhr den Wagen auf das Fabrikgelände, stellte den Motor ab, stieg erneut aus, bat Billy, das gleiche zu tun, ging zum Tor zurück und schloß es wieder zu. Und keine Minute später hatte Billy verstanden, was Johann meinte. Kaum im Freien kamen sie auch schon. Seine Gänse. In grau. Ein ganzes Meer davon. Watschelnd, aufgeregt schnatternd und unglaublich alarmierend.
    Johann ging derweil zum Kofferraum seines Wahnsinnsautos (Baujahr 1972, 170 PS, Maseratimotor, violett, tiptop in Schuß), holte einen Sack Mais heraus und begann seine Alarmanlage zu füttern.
    »Gegen Gänse sind Sie als Einbrecher machtlos. Schlaue Tiere sind das, sage ich Ihnen. Gänse merken sofort, wenn der Fuchs kommt. Und dann geben Sie Alarm. Ganz ohne Strom übrigens. Und nicht zu überhören. Da springt das ganze Dorf aus den Betten. Da sind im Nu alle hellwach.«
    Die Fabrik bestand aus drei großen Hallen sowie einem Ensemble mehrerer Büro- und Wirtschaftsgebäude. Und sie war voll. Bis obenhin. Mit allem Erdenklichen. Johann führte Billy herum und zeigte ihm seine Schätze: zahllose Möbel aus allen Epochen, stapelweise Bilder kleiner und großer Meister, ein ganzer Raum voller Teppiche, genug Lampen, um ganz Deutschland zum Leuchten zu bringen, Musikinstrumente von A bis Z, vollständige Bibliotheken, die geilsten Autos dutzendweise, dazu Motorräder, Kleider, vollgestopfte Regale mit altem Spielzeug, Öfen, Jagdtrophäen, Ritterrüstungen, Porzellan, Besteck, mehrere Pferdekutschen und so weiter. Sogar ein Panzer stand herum. Ach ja, und eine Segelyacht mit gut und gerne siebzig Fuß. Von den anderen Dingen mal abgesehen.
    Nach drei vollen Stunden Schnelldurchgang beendete Johann seine Führung, und Billy war geplättet.
    »Ein Haufen Holz«, sagte er und konnte nicht mehr.
    »Ein Haufen gelebter Frömmigkeit«, berichtigte ihn Johann. »Und ein großer Haufen gestorbener Schuldgefühle.«
    Billy dachte kurz nach.
    »Da verkaufen Sie ja noch hundert Jahre, bis das alles weg ist«, meinte er dann.
    »Wieso ich?« fragte Johann.

Herrenjahr.
    Billy war Diplomkaufmann. Auf dem Papier. Sieben Jahre lang hatte er studieren müssen, um sich so nennen zu dürfen. Viel Zeit dafür, daß er am Ende keine Ahnung vom Geschäft hatte. Aber vergessen. Das eine Jahr Ausbildung im »Haus der zwei roten Sonnen« schloß seine Lücken.
    Das Geschäft mit der katholischen Kirche war die beste Schule, die Billy besuchen konnte. Sobald seine Garderobe fertig war, brachte ihm Johann das Grundsätzliche bei. Ermachte ihn mit den Angestellten der Trödelläden bekannt, er ging mit ihm ins Auktionshaus, er zeigte ihm die zentralen Lagerstätten, er erklärte ihm, wie alles mit allem zusammenhing und im einzelnen wuppte, und natürlich betrieb er mit seinem ersten Auszubildenden Kontaktpflege beim Klerus. Ständig trafen sie sich mit irgendwelcher Geistlichkeit, um über
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