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Das weisse Horn

Das weisse Horn

Titel: Das weisse Horn
Autoren: Iwan Antonowitsch Jefremov
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Jahr aufs Krankenlager, und
    danach hatte ich an einer Herzschwäche zu leiden. Der
    zwangsweisen Untätigkeit und Langeweile müde, floh ich
    aus dem Kurort irh Süden nach dem wolkenverhangenen,
    geliebten Leningrad.
    Auf Vorschlag der Hauptverwaltung beschäftigte ich mich
    mit dem Quecksilbervorkommen von Sefidkan in Mittel-
    asien.
    An einem Frühlingsabend, als ich zu Haus über dem
    Mikroskop saß, wurde mir ein Päckchen gebracht, das mich
    mehr betrübte als erfreute. In einem flachen Kästchen aus
    glattem Zirbelholz lag eine Skizze von dem „See der Berg-
    geister" als Zeichen dafür, daß der Künstler Tschorossow
    sein arbeitsreiches Leben beschlossen hatte.
    Die ferne unzugängliche Schönheit des Sees erfüllte mich
    von neuem mit Unruhe und Trauer. Um diese Gefühle
    durch Arbeit zu überwinden, legte ich einen neuen Schliff
    erzhaltigen Gesteins aus Sefidkan unter das Mikroskop
    und vertiefte mich in die Untersuchung der allmählichen

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    Kristallisierung des Quecksilbererzes. Der Schliff, ein po-
    liertes Gesteinsplättchen, stellte fast reinen Zinnober dar,
    und die Untersuchung ging nicht recht vonstatten. Die
    feinen Farbtöne, die der Schliff reflektierte, wurden vom
    elektrischen Licht verschluckt. Ich schaltete die Tageslicht-
    lampe ein, die der engen Welt des Mikroskops das Sonnen-
    licht ersetzt.
    Noch immer lag der „See der Berggeister" in Gedanken
    vor mir, und anfangs wunderte ich mich nicht einmal, als
    im Mikroskop die blutroten Lichtreflexe auf stahlblauem
    Grund auftauchten, die mich seinerzeit auf dem Bild des
    Malers so gefesselt hatten. Einen Augenblick später wurde
    mir bewußt, daß ich nicht das Gemälde vor mir hatte,
    sondern die inneren Lichtreflexe des Quecksilbererzes
    beobachtete. Ich drehte das Tischchen mit dem Mikroskop,
    und der blutrote Schimmer begann zu blinken — er er-
    losch oder ging in einen tieferen, bräunlichroten Ton über,
    während der größere Teil der Oberfläche des Minerals
    immer noch wie kalter Stahl schillerte. Von einer noch
    nicht ganz bewußt gewordenen Vermutung getrieben,
    richtete ich das Lampenlicht auf die Studie zum „See
    der Berggeister" und erblickte in den Felsspalten am Fuß
    des Kegelberges Farbschattierungen. Sie glichen genau
    den soeben unter dem Mikroskop beobachteten Licht-
    reflexen.
    Eilig ergriff ich die Farbtafeln, und da ergab sich, daß die
    Farben mit den Formeln... Aber wozu hier Formeln
    anführen! Es ergab sich eben, daß die Farben Tschorossows
    auf seinem Bild genau den Farbtönen des Zinnobers ent-
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    sprachen, unter den verschiedenen Liditbedingungen, inr
    der Wissensdiaft Interferenz genannt. Das Geheimnis des
    „Sees der Berggeister" wurde mir plötzlich klar. Idi begriff bloß nichit, warum mir diese Vermutung nidit sdion längst
    im Altaigebirge gekommen war.
    Ich telefonierte nadi einem Taxi und fuhr bald darauf vor
    dem diemisdien Laboratorium vor, dessen große Fenster
    hell erleuditet waren. Ich traf meinen Bekannten, einen
    Chemiker und Metallurgen, noch an.
    „Ah, der sibirische Bär!" begrüßte er midi. „Was führt
    Sie her? Wieder eine eilige Analyse?"
    „Nein, Dmitri Michailowitsdi, idi mödite eine Auskunft
    von Ihnen. Was wissen Sie vom Quecksilber?"
    „Oh, Quecksilber ist ein so eigentümliches Metall, daß
    man darüber ein dickes Buch schreiben könnte. Was brau-
    chen Sie denn? Können Sie es nicht genauer sagen?"
    „Also bitte: Quecksilber siedet bei dreihundertsiebzig
    Grad, aber bei wieviel verdampft es?"
    „Immer, mein bester Ingenieur, außer bei starkem Frost!"
    „Das heißt also, es ist ein flüchtiger Stoff?"
    „Ja, ungewöhnlich flüditig im Verhältnis zu seinem spezifi-
    schen Gewicht."
    „Noch eine Frage: Leuchten Quecksilberdämpfe oder nicht,
    und in welcher Farbe?"
    „Sie leuchten selbst nicht, aber zuweilen, wenn die Luft
    stark von Qüecksilberdämpfen gesättigt ist und das Licht
    hindurdisdieint, bilden sidi dunkelblau-grünlidie Farbtöne.
    Bei elektrischen Entladungen in verdünnter Luft leuchten
    sie dagegen grünlidiweiß."
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    „Alles klar! Vielen Dank!"
    Fünf Minuten später klingelte ich an der Tür meines
    Arztes. Beunruhigt kam der gute Alte selbst in den Flur,
    als er meine Stimme erkannte.
    „Was gibt's? Macht das Herz nicht mit?"
    „Nein, alles in bester Ordnung. Ich komme nur auf einen
    Sprung. Sagen Sie, welches sind die Hauptsymptome einer
    Vergiftung durch Quecksilberdämpfe?"
    „Hm, durch Quecksilber entstehen im allgemeinen
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