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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht
Autoren: Kristof Magnusson
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reserviert?« »Haben Sie eine Suite?«
    »Wir haben noch eine Juniorsuite. Für wie viele Nächte?«
    »Zwei, nein, acht.«
    »Da wäre unsere aktuelle Rate 590 Dollar pro Nacht, plus 45 für das Frühstück.« Ich nickte. »Tragen Sie bitte Ihren Namen hier ein. Und dann bräuchte ich noch Ihre ... «
    » ... Kreditkarte, ja natürlich«, sagte ich und schnippte sie beiläufig auf den Tresen. Der Rezeptionist hatte ein sehr schönes Gesicht, war wahrscheinlich halb Chinese, halb Europäer, eine Mischung, die ich schon immer charmant gefunden hatte. Ich sah ihn gerade lang genug an, um mich der Richtigkeit meines Geschmacksurteils zu vergewissern, und sah dann wieder auf das Anmeldeformular. Während er die Kreditkarte durch das Lesegerät schob, trug ich mich ein und machte mich bei dem Geburtsdatum um elf Jahre jünger.
    »Haben Sie eine andere Kreditkarte?«
    »Leider nicht. Ich muss sie zerkratzt haben, immer dieser blöde Sand in der Brieftasche«, sagte ich und ärgerte mich über diese sowohl unnötige als auch unbeholfene Erklärung.
    »Ich würde im Voraus zahlen. Bar«, sagte ich dann, woraufhin die Unsicherheit, die für einen Moment im Lächeln des Rezeptionisten aufgetaucht war, wieder verschwand.
    »Soll Ihnen jemand mit dem Gepäck helfen, Mr. Santos?« Graham Santos. Unter diesem Namen hatte ich mich angemeldet. Dass auf meiner Kreditkarte ein anderer Name stand, hatte er entweder nicht mitbekommen oder er ignorierte es ebenso diskret, wie der Barkeeper mich ignoriert hatte.
    »Danke. Geben Sie mir einfach eine Zahnbürste.«
    Nachdem ich die Suite betreten und das Bitte-nicht-stören-Schild hinausgehängt hatte, ging es mir besser. Aus dem Fenster des Wohnzimmers sah ich den See, auf den sich der Abend gelegt hatte, die Luft so dunstig und schwer, dass ich kaum glauben konnte, man könne sie atmen. Auch die beiden Türme der Marina City konnte ich sehen. Im höheren lag meine Wohnung, doch dort würden sie mich finden. Der Verlag würde nach meinem neuen Roman fragen. Journalisten würden fragen, wie es für mich sei, zum zweiten Mal für den Pulitzerpreis nominiert zu sein, wie es für mich sei, sechzig Jahre alt zu sein - alt zu sein. Bei CNN stand ich auf der Liste der Prominenten, für die es einen vorproduzierten Nachruf gab. Wenn ich jetzt noch einmal den Pulitzerpreis bekäme, rückte ich bestimmt in die Liste der Prominenten auf, bei deren Tod das Programm unterbrochen wurde. Die breaking-news-Liste. So berühmt war ich geworden.
    Ich ließ mich auf das Bett meiner Juniorsuite fallen, und das Herzrasen ließ endlich nach.
    JASPER
    Einmal pro Woche schickte die Personalabteilung eine Mail mit den neuen Mitarbeitern rum: Fotos, Mailadresse, Ausbildung, Funktion und Durchwahl. Hieß sie willkommen, ich glaube sogar, herzlich. Wenn jemand nicht mehr da war, erfuhr ich das erst, wenn ich eine Durchwahl wählte und jemand anders am Apparat war.
    In wenigen Tagen würde wahrscheinlich auch an meiner Durchwahl jemand anders sitzen. Doch wenigstens musste ich mir nicht die Demütigung geben, ahnungslos da aufzutauchen und gefeuert zu werden. Ich war gewarnt. Es gab schlimmere Arten, von seiner Kündigung zu erfahren: Ich hatte mal von einem Kollegen gehört, der am Wochenende von seinem BlackBerry eine Mail von seiner privaten an seine Arbeitsadresse schickte und von einer automatischen Rückantwort mitgeteilt bekam, dass er nicht mehr für Rutherford & Gold arbeitete.
    Zugegeben, so was war selten. Vielleicht sogar ein Gerücht.
    Aber auch der Normalfall war schlimm genug. Zum Beispiel bei meinem ehemaligen Chef aus dem Back-Office. Er wurde versetzt zu Fusionen und Übernahmen, es sah aus wie eine Beförderung, aber sicher war er sich nicht. Dafür, dass hier alles angeblich so rational war, gab es erstaunlich viel, wo man im Kaffeesatz lesen musste wie eine Wahrsagerin. Als ich einige Tage später mit meinem Ex-Chef im Fahrstuhl stand, sah er so schlecht aus, dass ich mich kaum traute, Hallo zu sagen. Schließlich erfuhr ich, was passiert war: Er hatte sein neues Büro vermessen, und es war zwei Quadratfuß kleiner als sein altes. Das waren ungefähr drei Seiten Papier. Und doch konnte er sich nicht damit abfinden, wurde schließlich sogar um 6:30 bei dem Versuch erwischt, sein altes Büro noch einmal nachzumessen. Einige Wochen später wurde er krank. Nie mehr gesehen. Obwohl sein neues Büro viel heller und zwei Etagen höher war, konnte ihm niemand den Glauben nehmen, degradiert worden zu
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