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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht
Autoren: Kristof Magnusson
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er zu mir herauskam, um noch eine Flasche Sekt zu holen, von meiner Zigarette ziehen wollte.
    »Warum hat Gösta den Sekt nicht in seinem Weinkühlschrank kalt gestellt?«, fragte ich.
    »Ich glaub, der ist voll«, sagte Lars.
    »Alle fünf Klimazonen?«
    »Alle fünf individuell regelbaren Klimazonen«, sagte er und zog noch einmal. »Wein-Klima-Schrank übrigens, nicht Wein-kühl-Schrank, schließlich muss nicht jeder Wein gekühlt werden.« Dann zog er ein drittes Mal und ging wieder hinein, bevor ich in der Halbdunkelheit erkennen konnte, ob er bei dem letzten Satz gegrinst hatte oder nicht.
    Als ich wieder hineingegangen war, hatte Regine gerade ihre »Ich mag den Winter, weil man im Sommer wegen der ganzen Straßencafés nirgendwo durchkommt«-Suada begonnen. Ich erinnerte mich daran, dass ich im letzten Sommer im Café unter den Linden beobachtet hatte, wie Regine mit ihrem dreirädrigen Rennkinderwagen die Reihen der Cafetische und Stühle sprengte wie ein Streitwagen des Pharao eine Kompanie feindlicher Soldaten. Ich sagte, dass ich den Winter mochte, weil ich bis neun schlafen könne, ohne vom Licht geweckt zu werden, und Regine sagte: »Das würde ich auch gern mal wieder, aber das ist mit dem kleinen Süßen halt nicht drin.«
    »Ich kann mir eben selbst einteilen, wann ich arbeite, was ist daran so schlimm?«, sagte ich, denn mich ärgerte der mitleidige Ton in ihrer Stimme.
    »So hab ich das doch gar nicht gemeint. Im Gegenteil, ich wünschte mir manchmal, ich wäre so literaturverrückt wie du.« »So verrückt bin ich nun auch wieder nicht.«
    »Ich hab das ja auch nicht so gemeint, habe ich doch gerade schon gesagt«, sagte Regine dann. »Ich bewundere das.«
    An diesem Weihnachtsabend hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ich von diesen Menschen nicht einfach nur genervt war. Ich hatte Heimweh, obwohl ich seit zehn Jahren hier zu Hause war, Heimweh nach einem Ort, von dem ich nicht wusste, wo er war .
    Natürlich hatten unsere Pärchenfreunde schon lange mit dem Gedanken gespielt, aufs Land zu ziehen. Besonders seit der Geburt von Sophia-Marie redete Sabine dauernd davon, einen alten Bauernhof zu kaufen, und so kam es auch heute wieder. Während sich die dritte Flasche Rotwein in der Dekantierkaraffe auf Zimmertemperatur schwappte, stimmten ihr alle wortreich zu, sogar Arthur: »Ja, ein Haus auf dem Land.«
    Genau dort befand ich mich jetzt: auf dem Land, in der Region, aus der die Produkte aus der Region kamen. Dabei hätte es für mich gar nicht so ländlich sein müssen. Ein Supermarkt und ein Bahnhof in Laufweite wären schön gewesen - eine etwas exklusivere Einsamkeit, ruhig und trotzdem nicht am Arsch der Welt. Aber das konnte ich mir nicht leisten; ich schreibe die Bestseller schließlich nicht, ich übersetze sie nur. Und zurzeit nicht einmal das, da ich auf das neue Manuskript meines Autors wartete: Henry LaMarck. Eigentlich hätte es schon vor Wochen kommen müssen, doch nun wäre es wirklich jeden Tag so weit, wie mir sein deutscher Lektor Thorsten Fricke versichert hatte.
    Ich ging abermals zum Briefkasten, die Fahne war unten, aber ich sah trotzdem hinein und überlegte, was Arthur und die anderen wohl denken würden, wenn sie das hier sehen könnten: die Straße, von der ich nicht wusste, wohin sie führte, jenseits der Straße den alten Deich, diesseits mein Haus, das in den Vierzigerjahren errichtete Nebengebäude eines alten Bauernhofs, der dann abgebrannt war. Den Briefkasten, die Tür, das Schlafzimmerfenster und das Gitter an der Hauswand, das der Vorbesitzer angebracht hatte, damit Efeu daran empor wachsen möge, wahrscheinlich in der Hoffnung, das Erscheinungsbild des Hauses von verwahrlost in Richtung verwunschen zu wandeln.
    Ich ging um das Haus herum, an dem ungehackten Holz vorbei und dem Reisebus mit der Aufschrift modern reisen ... Bus reisen, den der Vorbesitzer für Gäste hatte ausbauen wollen, ihn aber letztendlich nur mit fast leeren Farbeimern, leeren Blumentöpfen, Dämmpapperesten und Dachziegeln vollgerümpelt hatte.
    Vielleicht sollten meine Freunde das erst sehen, nachdem ich mich hier an alles gewöhnt hatte, nachdem ich mich eingerichtet und mit der Übersetzung von Henry LaMarcks neuem Roman angefangen hatte. Arthur. Gösta und Regine, Sabine und Lars. Aber dann würden sie überrascht feststellen, dass ausgerechnet ich ihren Traum wahr gemacht hatte, den Traum vom Wohnen auf dem Land, hinterm Deich. Der Deich lag zwar aufgrund von
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