Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht
Autoren: Kristof Magnusson
Vom Netzwerk:
schreiben.«
    »Und wenn nicht? Andere Leute gehen doch auch in Rente.« »Aber Sie doch nicht. Sie können nicht einfach aufhören.« »Ich habe bereits aufgehört.«
    Thorsten schwieg eine Weile, sodass ich jetzt erst wahrnahm, dass die ganze Zeit sehr leise Musik gelaufen war, irgendetwas Elektronisches. Dann sagte Thorsten sehr viel ruhiger, fast vorsichtig:
    »Könnten Sie das vielleicht erst nach der Preisverleihung öffentlich sagen?«
    »Keine Sorge. Ich werde auf der Preisverleihung überhaupt nichts sagen«, sagte Henry. »Ich werde gar nicht hinfahren. «
    »Henry will sich bei mir in Tetenstedt verstecken«, sagte ich.
    »Nein, da gibt es eine winzig kleine Planänderung. Ich gehe nach London. Ich habe da einen Job bekommen.« »Ich dachte, Sie gehen in Rente?«
    »Ein Rentner-Job. Und den Preis werde ich stiften.«
    »Ah«, sagte Thorsten. Nach all der Verwirrung, für die die letzten Sätze gesorgt hatten, konnte er das zumindest ansatzweise begreifen: »Charity?«
    »Ich werde den Preis allen meinen Übersetzern schenken.« »Ihren was?«
    »Endlich mal was zurückgeben.« »Warum denn das?«, fragte Thorsten.
    »Warum denn nicht?«
    »Könnte es nicht etwas sein, das mehr Öffentlichkeitswirkung hat? Kranke Kinder?«
    »Um die kümmere ich mich ab jetzt auch.« Dann drehte er sich zu mir um.
    »Würden Sie den Preis für mich entgegennehmen?« »Ich?«
    »Wie die Indianerin, als Marlon Brando keine Lust auf die Oscar-Verleihung hatte«, sagte Thorsten Fricke. Langsam schien er sich mit dem Gedanken nicht nur abzufinden, sondern regelrecht anzufreunden.
    »So ähnlich«, sagte Henry.
    »Aber ich übersetze Sie doch gar nicht mehr, wenn Sie nichts mehr schreiben. Wenn der Preis verliehen wird, werde ich wahrscheinlich schon wieder Hausfrauenpornos übersetzen.«
    »Hausfrauenpornos?«, sagte Thorsten. »Du glaubst gar nicht, wie viele Autoren sich totfreuen würden, wenn du sie übersetzt. Wir haben da gerade einen neuen Inder. Inder gehen zurzeit total gut. Wir machen zusammen einen neuen Star.«
    Der Rest der Fahrt verging damit, dass Thorsten Henry Dinge über Norddeutschland und Hamburg erzählte. Thorsten fuhr in Othmarschen von der Autobahn und dann an der EIbe entlang. Die Sonne schien, wir kurbelten die Fenster herunter, irgendwo tutete ein Schiff - der ganze Tag war wie eine Hamburg-Werbung, und je heller die Sonne schien, je blauer das Wasser der Elbe leuchtete, desto absurder musste es Henry und Jasper vorkommen, dass ich aus dieser Stadt weggegangen war, freiwillig, in dieses Haus.
    Ich sagte nichts, als Thorsten Richtung Schanzenviertel fuhr, sagte auch nichts, als er direkt vor dem Cafe unter den Linden einen Parkplatz fand, keine 100 Meter von meiner ehemaligen Wohnung entfernt. Obwohl es erst März war, standen Tische draußen. Wir setzten uns. Gegenüber dem Cafe hatte jemand ein neues Graffito an eine Häuserwand gesprüht: Ab 22 Uhr ist RUHE.
    Es war merkwürdig, wieder hier zu sein; merkwürdig, ja, aber nicht schlecht. Wir hatten die größte Bankenpleite der letzten dreißig Jahre erlebt, also würden wir es auch mit Salzmühlen und Bionade aufnehmen können. Wobei weder Jasper noch Henry jetzt hier wären, wäre ich nicht nach Chicago gefahren. Ich war der wichtigste Mensch in diesem Dreieck. Aber das mussten die anderen ja nicht unbedingt wissen. Ich bestellte zwei Flaschen Sekt.
    »Mit wem simsen Sie sich da eigentlich die ganze Zeit?«, fragte Thorsten.
    »Mit einem Bekannten aus London«, wollte Henry ganz beiläufig sagen, doch Thorsten hob die linke Augenbraue, und auch ich hatte das Gefühl, dass Henry seiner Antwort einen geheimnisvollen Unterton gegeben hatte.
    Dann kam der Sekt. Wir stießen an, wie wir es in den nächsten Stunden noch oft tun sollten, am Anfang zwei Mal auf Henry, dann reihum auf jeden von uns, schließlich auch auf alle möglichen anderen Dinge, die Sonne, das Wetter, einen lustigen Halbsatz, besonders originelle Wörter, irgendwelche Wörter.
    "Wusstet ihr, dass Hamburg die Partnerstadt von Chicago ist?«, sagte Henry.
    »Ich dachte, das ist St. Petersburg«, sagte ich.
    »Städte haben nicht nur einen Partner«, sagte Henry. »Haben Sie auch etwas mit Literatur zu tun?«, fragte Thorsten Fricke und sah Jasper an, der gedankenverloren Salzkörner von den Brotstangen, die mit dem Sekt gekommen waren, in die Rillen des Holztisches bröselte.
    »Nicht direkt«, sagte Jasper. »Ich bin eine Art Robin Hood.« »Aha«, sagte Thorsten und kicherte jetzt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher