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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht
Autoren: Kristof Magnusson
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sprachen. Wir tranken den Wein nicht aus. Dann zeigte Meike Henry LaMarck das Schlafzimmer, kam zurück, holte einen Schlafsack und ein paar Wolldecken aus einer Umzugskiste und verwandelte das Sofa in ein Bett, auf das sie wortlos den Schlafsack und die Decken schmiss.
    Von draußen schien etwas Licht ins Zimmer, vom Mond oder der einen Straßenlaterne in der Nähe des Hauses. Wir lagen eine Weile da, Seite an Seite, Kopf an Kopf. Dann wurde es dunkel vor meinen Augen. Meike küsste mich.
    Für einen Moment sah ich mein Leben an mir vorbeiziehen, aber nicht meine Vergangenheit, sondern meine Zukunft. Wie es hätte sein können, wenn es mir gelungen wäre, meine Verluste auszugleichen, bevor sie mich erwischt hatten. Dann wäre ich in Chicago geblieben und hätte wohl wirklich Karriere gemacht. Wäre ein paar Jahre später in Alex' Position gewesen. Meine Mutter wäre in Rente. Ich hätte wohl Schlafstörungen und ein Magengeschwür und vielleicht sogar zwei Kinder und eine Frau, die froh wäre, dass ich kaum zu Hause war und viel Geld verdiente.
    Stattdessen lag ich hier mit Meike unter dem Schlafsack und zwei Wolldecken, denn der Ofen war ausgegangen, und ich hatte vergeblich versucht, ihn wieder anzufeuern. Oder es nicht lange genug versucht, weil ich zurück zu Meike wollte. Die Kälte störte mich nicht, das war ja nur vorübergehend. Ich werde einen Job finden. Meike auch. Dann renovieren wir. Doch selbst, wenn alles so blieb wie jetzt, so unrenoviert und kalt - es würde mir genügen.
    HENRY
    Das Ländliche hatte mich schon immer angeödet. Schon früher und auch jetzt wieder, am Morgen nach meiner Ankunft hier in Tetenstedt, als ich in aller Frühe einen Spaziergang machte, durch das Grüngrau, das sich zu allen Seiten bis zum Horizont zog und dann irgendwo im Grau des Himmels endete.
    Das war nun wirklich die Krone des Elends! Ein halb verfallenes Haus direkt an der Landstraße. Auf dem Grundstück keine Spur von gärtnerischer Gestaltung, kein immergrünes Bäumchen, kein Rasen, noch nicht einmal ein zerzauster Rhododendron, dafür ein Schuppen, der jeden Moment zusammenstürzen konnte, aber eine feuerfeste Tür hatte. Schubkarren mit Autobatterien, in denen sich Regenwasser sammelte. Kabeltrommeln, Farbeimer, Squashschlägertaschen. Ich ging bis zum Ende der Wiese, zu einer Reihe von Kiefern, die nur noch in den Kronen Äste hatten, sodass sie aussahen wie Fanfaren, die, vom Seewind gebeugt, ein Signal landeinwärts posaunten.
    Ich traute mich nicht ins Wohnzimmer, denn dort schliefen Meike und der verzweifelte Business-Boy, der ja inzwischen gar kein Business-Boy mehr war und auch nicht mehr so verzweifelt.
    Die Liebe als Auslaufmodell im 21. Jahrhundert. Diese These hatte ich in Unterm Ahorn vertreten. Sie war falsch. Der Beweis lag im Wohnzimmer auf einem Klappsofa.
    So war es jetzt also gekommen. Der Junge bekam das Mädchen, die Jugend die Jugend. Doch war das wirklich so schlimm? Immerhin hätten sie sich ohne meine Bücher nie gefunden. Ich hatte hier die wichtigste Rolle gespielt. Aber das musste ich ihnen ja nicht unter die Nase reiben.
    Wären wir in einer Oper, könnte ich jetzt eine Art Opfertod sterben: Mein Teil in dieser Handlung ist getan, lasst mich noch einmal in die Mitte der Bühne, leuchtet mich gut aus, gebt mir eine schmachtende Musik, ich singe eine letzte Arie, an deren Ende das Publikum tränenfeuchten Auges mit ansieht, wie ich zusammenbreche. Doch ich war nicht in einer Oper, sondern in einem norddeutschen Dorf. Mein einziges Publikum waren ein paar Schafe.
    Ich kehrte zum Haus zurück. Neben Meikes Renault stand nun ein zweites Auto da, ein ziemlich neuer 1er-BMW, der so sauber war, als wäre er aus einer Hochglanzanzeige ausgeschnitten und in diese schlammige Landwelt eingeklebt worden. Das Kennzeichen begann mit denselben Buchstaben wie das von Meike, HH, was auch immer das bedeutete, und auf der Kofferraumklappe klebte ein Aufkleber in Regenbogenfarben mit der Aufschrift: Rainbows are gay.
    Ich säuberte meine grauen Mokassins so gut wie möglich.
    Die Tür war nicht abgeschlossen, ich öffnete sie und hörte sofort aufgeregte Stimmen aus dem Wohnzimmer, ab und zu Meike oder Jasper, doch die meiste Zeit redete ein Mann, der schnell sprach und immer wieder Worte fallen ließ wie »Chicago«, »Henry«. Sonst verstand ich nicht viel. Ich schlich zur Wohnzimmertür, wartete eine Weile, ob ich sonst noch etwas verstehen könnte, doch so viel der Mann auch redete, es war nicht
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