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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht
Autoren: Kristof Magnusson
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Landgewinnungsmaßnahmen seit Jahrhunderten nicht mehr am Meer, die Küste war zwei Kilometer weit weg, hinter einem richtigen Deich, aber trotzdem: Es war gut, dass ich hier war. Schön war es auch. Irgendwie.
    HENRY
    Ich sollte mich wirklich schämen. Schämen solltest du dich, Henry LaMarck! Auf jeder anderen Party wäre es im Rahmen des gesellschaftlich Akzeptierten gewesen, sich sang- und klanglos davonzustehlen, doch auf der Party zu meinem eigenen sechzigsten Geburtstag war es das sicher nicht.
    Meine Verlegerin Gracy Welsh hatte mich zu Parker Publishing gebeten, angeblich um mir die Umschlagentwürfe für die Taschenbuchausgabe meines letzten Romans, Windeseile, zu zeigen. Als ich jedoch das Großraumbüro im 24. Stock betrat, standen plötzlich jede Menge Leute um mich herum und riefen: »Überraschung!« Viele hatten sich mit Hütchen dekoriert, mit ganz ironisch hässlichen Hütchen natürlich, da ich bei Parker Publishing für meinen Humor bekannt war. Humor - Schmumor, ich war sechzig geworden, was war daran witzig?
    Als sich der Überraschungslärm nicht legen wollte, schnippte Gracy mit dem Zeigefinger an ihren mit Sekt gefüllten Plastikbecher, begrüßte und beglückwünschte mich und sagte dann das, von dem sie dachte, das ich es ohnehin längst wusste:
    »Henrys Geburtstag wäre ja an sich schon eine tolle Sache, aber das ist erst der Anfang: Henry ist nämlich mit Windeseile einer der Finalisten um den diesjährigen Pulitzerpreis. Ist das nicht fantastisch?«
    Alle schienen zu jubeln, das sah ich ihren Gesichtern an, denn ich hörte nichts, und spürte auch nichts, außer diesem Herzrasen, das mich seit einiger Zeit immer wieder befiel und in meinem ganzen Körper wiederzuhallen schien, aufdringlich und schnell. Oh Gott. Ich war für den Pulitzerpreis nominiert, den ich vor etlichen Jahren schon einmal für meinen Roman Unterm Ahorn bekommen hatte. Damals war das eine echte Auszeichnung gewesen, doch jetzt schoss mir nur ein Gedanke durch den Kopf: Sie wollen dir schnell noch mal den Pulitzerpreis geben, bevor sie dich aufs literarische Abstellgleis schieben. Ein zweiter Pulitzerpreis, das war, als bekäme ich den Ehrenoscar für mein Lebenswerk. Danach konnte man nur noch eine künstlerisch relevante Sache tun: sterben.
    Ich schüttelte Hände und hangelte mich von einer Umarmung in die nächste wie ein ertrinkender Orang-Utan. Viele sagten, sie freuten sich auf mein neues Buch, meinen Roman über die Terroranschläge des 11 . September. So hatte ich es nämlich angekündigt oder besser, so war es mir rausgerutscht, als ich vor ungefähr einem Jahr anlässlich des Erscheinens von Windeseile bei Stephen Fry in der BBC zu Gast gewesen war, zusammen mit Elton John, der fast so witzig und geistreich reden konnte wie Stephen Fry selbst, was dazu geführt hatte, dass ich mich immer kleiner und langweiliger fühlte. Dann hatte ich es irgendwann gesagt: »Roman.11. September.« Ich fand das witzig in dem Moment, und Elton John beeindrucken wollte ich auch, sodass ich sogar noch einen draufsetzte und behauptete, es sei ein groß angelegtes Projekt, an dem ich praktisch seit dem 12. September 2001 heimlich arbeiten würde. Nun hatte ich den Salat, alle erwarteten keinen Roman von mir, sondern einen Jahrhundertroman. Geschrieben hatte ich seitdem keine Zeile, doch Parker Publishing hatte bereits ein Marketingkonzept und eine Absatzprognose, in der das Wort »Million« vorkam.
    Meine Verlegerin Gracy Welsh schien extra für diese Überraschungsparty zum Friseur gegangen zu sein - ihre blonden Haare, die wie immer die Form eines einbetonierten Baisers hatten, wirkten heute besonders unverwüstlich. Ich stellte mir vor, wie sie in ihrem schwarzen Mercedes-Cabriolet den Lake Shore Drive entlang brauste und kein einziges Haar auch nur ins Zittern kam.
    Sie trug ein schlichtes rotes Kleid, vor dessen Hintergrund ihre Comme-des-Garscons-Handtasche mit nicht weniger als acht Tragriemen besonders hervorstach. Sie würde mich fragen, wann das Manuskript käme. Alle anderen würden sich zurückhalten, schließlich war es normal, dass ich meine Manuskripte erst in letzter Minute in praktisch druckreifem Zustand abgab. Doch Gracy sah ich an, dass sie wissen wollte, was los war. Sie wartete nur auf den richtigen Moment, um mich zu fragen.
    Wäre ich bloß nicht hergekommen, ich Hirsch! Doch dann hätte sie erst recht geahnt, dass es ein Problem gab.
    »Geburtstag haben und einen zweiten Pulitzerpreis bekommen, da weiß
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