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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht
Autoren: Kristof Magnusson
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sein.
    Nun stand ich mitten am Vormittag im Caribou Cafe, wo ich mir sonst nur mittags schnell ein Sandwich und einen Kaffee Americano holte. Setzte mich zum ersten Mal an einen Tisch. Merkwürdig, dass es hier überhaupt Tische und Stühle gab, wo alle so in Eile waren. Sie fragten einen nicht mal, ob man den Kaffee hier trinken wollte. Ich glaube, die hatten nichts anderes als Einwegbecher zum Mitnehmen. Nach dem ersten Schluck spürte ich ein Stechen in meinem Magen, doch ich gab nicht auf, nahm einen zweiten und, ehe mein Magen darauf reagieren konnte, einen dritten. Das würde ich nun wohl den ganzen Tag tun müssen. Kaffee trinken. Heute und an den vielen folgenden arbeitslosen Tagen auch.
    Auf der anderen Seite: Die schickten mich doch nicht in der Business-Class zur Fortbildung nach London, um mich dann zu feuern. Das wäre absurd. Absurd, aber nach allem, was ich in den letzten fünf Jahren erlebt hatte, nicht unmöglich. Dies war Rutherford & Gold.
    Nach zwei weiteren Americanos und einem Donut ging ich durch kalten Wind und Schneefall nach Hause. Noch nie hatte werktags so früh meine Freizeit angefangen, die sich in dieser Wohnung abspielte, die die Bank mir besorgt hatte, im 38. Stock eines Hochhauses mit Seeblick und uniformiertem Portier, der mir die Tür aufhielt.
    Ich setzte mich auf mein Sofa. Um diese Zeit hier zu sein, fühlte sich so merkwürdig an, dass ich einen Moment einfach nur dasaß. Und zum ersten Mal seit Monaten die Kartons an der gegenüberliegenden Wohnzimmerwand bemerkte. Vier hellbraune Boxen mit weißen Aufklebern. Das Wort PREMMÖ in schwarzen Großbuchstaben. Daneben in einem Oval, wiederum in Großbuchstaben, die Aufschrift: IKEA. Bereits vor einem Jahr hatte ich mir dort einen Tisch gekauft, ihn aber nie aufgebaut. Ich wusste nicht, wo ich das in meine Work-Life-Balance einbauen sollte. Teil meiner Arbeit war das nicht, aber in meiner Freizeit wollte ich auch keine Möbel zusammenschrauben. So lag der Tisch immer noch originalverpackt da.
    In meiner Freizeit schlief ich normalerweise, ging ins Fitnessstudio oder Essen einkaufen. Am ersten und dritten Sonnabend jeden Monats wurde meine Wäsche abgeholt und die saubere geliefert, am zweiten und vierten Wochenende telefonierte ich mit meiner Mutter. Ansonsten spielte ich Schach. Früher im Verein, in Bochum, Jugendbundesliga sogar. Jetzt über ChessBase, von meinem Sofa aus, den Computer auf dem Schoß.
    Ich holte ein Küchenmesser. Dies war der perfekte Moment - wann war ich sonst um diese Zeit zu Hause, in diesem Vakuum zwischen Work und Life? Ich durchstach das Klebeband und riss die Kartons auf. Premmö. IKEA schien die Punkte auf dem ö auch in den USA für nötig zu halten. Ich breitete alles vor mir aus, die Metallfüße, die Bretter, die Klemmen, die zwei Sechskantschlüssel, stellte alle Schrauben senkrecht hin, die größten links, die kleinsten rechts. Las die Aufbauanleitung von vom bis hinten durch, legte sie weg und begann. Eine Stunde später war Premmö fertig. Stand da wie ein Fremdkörper - kein Wunder, es war ja auch ein Schreibtisch, mitten in meinem Wohnzimmer.
    Ich holte einen Klappstuhl aus der Küche und setzte mich.
    Loggte mich bei Facebook ein, dem Internet-Netzwerk, wo man Kontakte zu alten Freunden halten konnte. Oder neue finden. Hatte beides nicht funktioniert. Meine Tage glichen sich so sehr, dass ich nie wusste, was ich in mein Profil schreiben sollte: Jetzt arbeite ich/jetzt bin ich zu Hause/jetzt gehe ich ins Bett?
    Ich hatte 93 Facebook-Freunde. Die, die ich davon persönlich kannte, hatte ich zum größten Teil seit Jahren nicht mehr gesehen. Kannte sie aus der Schule, vom Studium und vom Schach. Heute war in meinem Schachclub Spielabend. Auf der Facebook-Pinnwand des Clubs trudelten die Meldungen ein, wer alles kam. Alle kamen. Wie jede Woche. Dort könnte ich jetzt auch sein. Bier trinken. Erdnussflips essen. Blitzschach spielen. In meinem ersten Jahr hatten mich sogar zwei Freunde in Chicago besucht, Oliver und Max. Doch irgendwann war der Kontakt über eine solche Entfernung abgebrochen, das war ganz normal, und um neue Freunde kennenzulernen, fehlte mir die Zeit.
    Nur vier meiner Kollegen von Rutherford & Gold hatten mich als Freund gespeichert. Der Einzige, der online war, war Je ff, unser schüchterner Trainee.
    Jeff, Lust, heute Abend ein paar Biere zu kippen?, schrieb ich.
    Las es noch mal durch. Ersetzte kippen durch trinken und schickte die Nachricht ab. Wartete eine halbe Stunde.
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