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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Frage, wenn auch in anderem Tonfall: »Warum bist du hier?«
    Und er gab zur Antwort: »Weil Ihr Jennifer im vergangenen Frühling zur Gastfreundin ernannt habt.« Darauf war sie nicht vorbereitet gewesen – diesmal war es in ihrem Gesicht zu lesen. Für ihn eine Art Triumph, doch dieser Augenblick war bei weitem zu bedeutsam, um sich mit dem Zählen von Gewinnpunkten im Machtkampf aufzuhalten. Um der Sache die Spitze zu nehmen, fuhr er fort: »Loren würde wegen der damit verbundenen Unwägbarkeiten zu misstrauisch sein, und ich dachte, Ihr wärt in der Lage, damit fertig zu werden. Wir brauchen Euch.«
    »Ihr vertraut mir in dieser Angelegenheit?«
    Nun war es an ihm, ungeduldig abzuwehren. »Oh, Jaelle, nun übertreibt nicht Eure eigene Böswilligkeit. Ihr seid mit den hiesigen Machtverhältnissen ganz und gar nicht zufrieden, das sieht doch jeder Narr. Aber nur ein sehr großer Narr würde das damit verwechseln, auf welcher Seite Ihr in diesem Krieg steht. Ihr dient der Göttin, die jenen Mond gesandt hat, Jaelle. Von allen Männern besteht bei mir die geringste Wahrscheinlichkeit, dass ich dies vergesse.«
    In diesem Moment wirkte sie sehr jung. Unter ihrer weißen Robe verbarg sich ein Frauenkörper, ein Mensch, nicht bloß ein Sinnbild; er hatte den Fehler begangen, ihr das einmal zu sagen, in eben diesem Raum, während draußen der Regen fiel.
    »Was ist es, das Ihr braucht?«
    Sein Tonfall war entschieden. »Eine Hüterin des Kindes. Und natürlich völlige Geheimhaltung, noch ein Grund, warum ich zu Euch gekommen bin.«
    »Ich werde die Mormae in Gwen Ystrat davon unterrichten müssen.«
    »Das dachte ich mir.« Er stand auf, begann auf und ab zu gehen, während er sprach. »Das gleiche gilt, nehme ich an, für die Mormae?«
    Sie nickte. »Es gilt auf jeder Ebene des Priesterinnentums, doch dies wird auf den inneren Kreis beschränkt bleiben.«
    »Gut«, sagte er und blieb dicht vor ihr stehen. »Aber damit habt Ihr ein Problem.«
    »Welches?«
    »Dies!« Und er streckte die Hand aus und zog hinter ihr eine verborgene Tür auf, packte die Lauscherin dahinter am Kragen und zerrte sie in den Raum hinein, so dass sie auf den teppichbedeckten Boden fiel.
    »Leila!« rief Jaelle aus.
    Das Mädchen ordnete seine graue Robe und rappelte sich auf. Ihre Augen verrieten eine Spur von Besorgnis, aber nur eine kleine Spur, sah Paul, und sie hielt den Kopf hoch erhoben, als sie sich den beiden Erwachsenen zuwandte.
    »Dafür hättest du den Tod verdient«, erklärte Jaelle mit erschreckend eisiger Stimme.
    Doch Leila erwiderte kühn: »Ist das ein Thema, das wir in Gegenwart eines Mannes ansprechen sollten?«
    Jaelle zögerte, doch nur eine Sekunde lang. »Genau das werden wir tun«, entgegnete sie, und Paul wurde von der plötzlich eintretenden Veränderung ihres Tons überrascht. »Leila«, hielt ihr die Hohepriesterin gütig vor, »es steht dir nicht zu, mich zu belehren, ich bin nicht Shiel oder Marline. Du trägst erst seit zehn Tagen den grauen Ornat, und du hast dich deinem Rang entsprechend zu verhalten.«
    Nach Pauls Geschmack war das zuviel Milde. »Zur Hölle damit! Was hatte sie da zu suchen? Was hat sie mit angehört?« »Ich habe alles gehört«, gab Leila zu.
    Jaelle war erstaunlich gelassen. »Das glaube ich dir«, sagte sie. »Nun erzähle mir, warum.«
    »Wegen Finn«, antwortete Leila. »Weil ich ihm angesehen habe, dass er von Finn gekommen ist.«
    »Ah«, bemerkte Jaelle bedächtig. Dann trat sie zu dem Kind und strich ihm nach kurzem Verharren mit einem ihrer langen Finger über die Wange, eine beunruhigend zärtliche Geste. »Natürlich.«
    »Nun verstehe ich nichts mehr«, war alles, was Paul dazu äußern konnte.
    Sie drehten sich beide nach ihm um. »Das müsste aber nicht sein«, erwiderte Jaelle, wieder vollkommen beherrscht. »Hat Jennifer dir nicht vom Ta’kiena erzählt?«
    »Ja, aber … .«
    »Und warum sie das Kind in Vaes Haus zur Welt bringen wollte? Im Hause von Finns Mutter?«
    Oh. Jetzt wurde ihm alles klar. Er sah die schlanke, brünette Leila an. »Sie war das?« fragte er.
    Das Mädchen antwortete ihm persönlich. »Ich habe Finn auf den Längsten Weg berufen. Dreimal und dann noch einmal. Ich stehe mit ihm in geistiger Verbindung, bis er uns verlässt.«
    Nun herrschte Schweigen. »Gut, Leila«, beendete Jaelle das Gespräch. »Lass uns jetzt allein. Du hast getan, was du tun musstest. Zu keinem ein Wort darüber.«
    »Ich glaube, das könnte ich gar nicht«, beteuerte Leila
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