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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer
Autoren: Guy Gavriel Kay
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seherischen Gabe, sogar Paul, sogar Dave, der sich bei den Dalrei auf der Ebene so völlig verändert und im Pendaranwald ein Horn gefunden hatte.
    Und wer war er schon, Kevin Laine, dass er einen solchen Racheschwur tat? Im Augenblick kam ihm alles so jämmerlich vor, so lächerlich, vor allem hier im Speisesaal des Mackenzie King.
    »Nun?« fragte Paul auf eine Weise, die ihre Umgebung augenblicklich nebensächlich erscheinen ließ. Er sah Kim dabei an.
    »Hör auf«, forderte sie. »Hör auf zu drängeln. Sobald irgendwas passiert, sage ich es dir. Willst du das schriftlich?«
    »Ist ja gut, Kim«, lenkte Kevin ein. »Versuch doch zu verstehen, wie uninformiert wir uns fühlen. Du bist unsere einzige Verbindung.«
    »Also, im Moment habe ich nirgendwohin Verbindung, das ist alles. Es gibt einen Ort, den ich unbedingt finden muss, und ich habe keine Gewalt über meine Träume. Dieser Ort befindet sich auf unserer Welt, mehr weiß ich nicht, und ich kann nirgendwohin gehen oder das Geringste tun, bis es soweit ist. Glaubst du etwa, ich hätte daran mehr Freude als ihr drei?«
    »Kannst du uns denn nicht wieder hinüberbringen?« begehrte Dave unklugerweise zu erfahren.
    »Ich bin verdammt noch mal kein öffentliches U-Bahnnetz!« brauste Kim auf. »Ich hab’ uns da rausgeholt, weil der Baelrath auf welche Weise auch immer entfesselt wurde. Auf Kommando kann ich das nicht.«
    »Damit säßen wir hier fest«, sagte Kevin.
    »Es sei denn, Loren käme uns holen«, ergänzte Dave.
    Paul schüttelte den Kopf. »Das wird er nicht tun.«
    »Wieso nicht?« fragte Dave.
    »Loren hält sich raus, glaube ich. Er hat die Dinge in Gang gebracht, aber jetzt überlässt er das Handeln uns und ein paar anderen.«
    Kim nickte. »Er hat einen Faden in den Webstuhl gespannt«, flüsterte sie, »aber er ist nicht bereit, das Gewirk zu weben.« Sie und Paul wechselten einen Blick.
    »Aber wieso?« bohrte Dave hartnäckig, und Kevin konnte die Enttäuschung des hünenhaften Mannes hören. »Er braucht uns – wenigstens Kim und Paul. Warum kommt er uns nicht holen?«
    »Wegen Jennifer«, erklärte Paul ruhig.
    Einen Augenblick darauf fuhr Paul fort: »Er glaubt, wir hätten genug gelitten. Er will uns nicht noch mehr zumuten.«
    Kevin räusperte sich. »Aber wie ich es verstanden habe, findet doch alles, was sich in Fionavar ereignet, hier und auf sämtlichen anderen Welten, wo immer sie auch sein mögen, seinen Niederschlag. Stimmt’s nicht?«
    »Doch«, pflichtete Kim ihm gelassen bei. »Das stimmt. Möglicherweise noch nicht sofort, aber wenn Rakoth in Fionavar die Herrschaft übernimmt, tut er das überall. Es gibt nur ein einziges Gewirk.«
    »Und wenn schon«, resümierte Paul, »handeln müssen wir auf eigene Faust. Er wird es nicht von uns verlangen. Falls wir vier wieder dorthin zurückwollen, müssen wir uns unseren eigenen Weg suchen.«
    »Wir vier?« fragte Kevin. Soviel Hilflosigkeit. Er blickte zu Kim hinüber.
    Sie hatte Tränen in den Augen. »Ich weiß es nicht«, gab sie beinahe unhörbar zu. »Ich weiß es einfach nicht. Sie will euch drei nicht sehen. Sie verlässt nie das Haus. Sie unterhält sich mit mir über die Arbeit und übers Wetter und … . und über die Nachrichten, und sie, sie … .«
    »Sie ist entschlossen, es durchzustehen«, unterbrach sie Paul Schafer.
    Kimberly nickte.
    Ein goldenes Geschöpf war sie gewesen, erinnerte sich Kevin, verstrickt in seinen Kummer.
    »Also gut«, sagte Paul. »Nun bin ich an der Reihe.« Der Pfeil des Gottes.
    Sie hatte einen Spion in die Tür einbauen lassen, damit sie nachsehen konnte, wer dort anklopfte. Sie war während des Tages meist zu Hause, abgesehen von nachmittäglichen Spaziergängen im nahe gelegenen Park. Es kamen oft Leute an ihre Tür: Lieferanten, der Gasmann, der Postbote mit eingeschriebenen Briefen. Zu Anfang waren auch Blumen gekommen, wie albern. Sie hätte Kevin wirklich mehr zugetraut. Ob dieses Urteil gerecht war, darum kümmerte sie sich nicht. Sie hatte sich mit Kim darüber gestritten, als ihre Mitbewohnerin eines Abends heimkam und einen Rosenstrauß in der Mülltonne entdeckte.
    »Hast du eigentlich eine Ahnung, wie ihm zumute ist? Kümmert dich das überhaupt nicht?« hatte Kimberly geschrien.
    Die Antwort: nein, und nochmals nein.
    Wie konnte sie noch einer menschlichen Regung fähig sein, beispielsweise der Sorge um einen anderen? Ohne Zahl waren sie, die unüberbrückbaren Abgründe zwischen sich und den vier anderen und jedermann sonst.
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