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Das Wahre Kreuz

Das Wahre Kreuz

Titel: Das Wahre Kreuz
Autoren: Joerg Kastner
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dachte, wir sollten dem alten Abul einen Besuch abstatten, bevor es Abend wird.«
    »Das ist ein guter Gedanke, Sergeant. Genau das sollten wir tun!«

4. KAPITEL
    Der Dolch des Mörders
    buls Haus stand in einem der westlichen Außen-A bezirke Kairos, einer alles andere als vornehmen Gegend. Die meisten Gebäude hier erweckten einen halb verfallenen Eindruck. Ihre Bewohner schienen sich kaum um den Erhalt der Behausungen zu kümmern, waren dazu entweder zu arm oder zu träge. Vielleicht hatten sie sich auch einen Ausspruch zu Herzen genommen, der ihrem Propheten Mohammed zugeschrieben wurde: »Was den Wohlstand eines Gläubigen auf-frißt, ist das Bauen.«
    In so manches Haus hätte ein Europäer keinen Fuß gesetzt, aus Angst, ihm könne jeden Augenblick die Decke auf den Kopf fallen. Und doch lebten in solchen Ruinen ganze Großfamilien und waren sich der Gefahr scheinbar nicht einmal bewußt.
    Die Schatten waren bereits sehr lang, als wir die gewundene Gasse erreichten, an deren Ende unser treulo-ser Führer wohnte. Sergeant Kalfan und zwei Grenadiere begleiteten Onkel Jean und mich. Die übrigen Grenadiere hatten den Befehl erhalten, unser Haus zu bewachen und gleichzeitig ein Auge auf Maruf ibn Saads Anwesen zu haben. Zahlreiche Augenpaare beobachteten uns neugierig aus Hauseingängen und Fensteröffnungen, während wir, die Fremden aus dem fernen Frankenland, die Gasse durchschritten. Abuls wind-schiefes Haus erweckte einen verlassenen Eindruck; die Tür war verschlossen. Mein Onkel klopfte mehrmals laut, aber nichts geschah.
    »Niemand zu Hause?« fragte ich zweifelnd.
    »Ich glaube eher, daß da jemand nicht angetroffen werden will, und das aus gutem Grund«, schnaubte Onkel Jean. »Lassen Sie die Tür aufbrechen, Sergeant!«
    Die Haustür war alt und morsch, so daß es voraus-sichtlich keiner großen Anstrengung bedurfte, sie zu öffnen. Sergeant Kalfan selbst warf sich mit der Schulter dagegen, einmal, zweimal, und schon knirschte es gefährlich.
    Bevor der Sergeant einen dritten Anlauf nehmen konnte, hörten wir das Schaben eines Riegels, und quiet-schend schwang die Tür auf. Wir sahen uns einer alten Frau gegenüber, deren unverschleiertes Gesicht nur aus Falten zu bestehen schien. Sie musterte uns halb ängstlich, halb verärgert. Hierzulande galt es schon als grobe Unhöflichkeit, ungebeten ein fremdes Haus zu betreten, von gewaltsamem Eindringen ganz zu schweigen.
    Mein Onkel fragte die Frau nach Abul, erst auf französisch, dann in ihrer Sprache, aber sie würdigte ihn keiner Antwort. Aus dem hinteren Bereich des Hauses drang ein dumpfer Laut an unsere Ohren, wie von einem schweren Gegenstand, der umgefallen war. Die schweigsame Alte war also nicht allein. Wir drängten sie zur Seite und eilten in den rückwärtigen Raum, aus dem das Geräusch gekommen zu sein schien. Onkel Jean schlug den zerschlissenen Vorhang zur Seite, der den Raum vom Rest des Hauses abteilte.
    Auf dem Boden lag, in seitlicher Haltung, ein knochiger alter Mann, das Gesicht mit dem spitzen Kinnbart auf den vergilbten Teppich gepreßt, als lausche er einem von unten kommenden Geräusch. Unter ihm breitete sich eine Blutlache aus.

    Es war Abul.
    Kalfan kniete sich neben ihn und drehte ihn herum.
    Wir sahen, daß sein helles Gewand vor der Brust blutge-tränkt war.
    »Mausetot, der alte Ziegenbart«, knurrte der Sergeant.
    Die Frau trat hinter uns, stieß beim Anblick des Toten einen Schrei aus und schluchzte: » Ja mussihbe, ja za
    ’all « Was soviel hieß wie: »Welch ein Unglück, welch ein Leid!«
    Sie warf sich über den Toten und begann hemmungslos zu weinen, wobei sie zwischendurch immer wieder Abuls Namen rief.
    »Abul scheint ihr Mann gewesen zu sein«, sagte ich.
    »Offenbar ist sie von seinem Tod ebenso überrascht wie wir.«
    »Er kann auch noch nicht lange tot sein«, sagte Kalfan und erhob sich wieder. »Er ist noch ganz warm.
    Möchte wissen, wer …«
    Ein Geräusch über uns ließ ihn verstummen. Es waren unverkennbar Schritte auf dem Dach.
    »Das muß er sein!« entfuhr es dem Sergeanten, und es war klar, daß er Abuls Mörder meinte. »Ihm nach!«
    Vor dem Durchgang zum rückwärtigen Raum stand die Leiter, die auf das Flachdach führte. Ich war als erster oben und blickte mich suchend um. Wäsche flatterte an einer Leine, und in einer Ecke lagen auf einem ausgebreiteten Tuch Früchte zum Trocknen aus, aber ein Mensch war nicht zu sehen. Abuls Mörder mußte über die niedrige Mauer, die das Dach einfaßte,
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