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Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]

Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]

Titel: Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
Autoren: Liane Sons
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Hof, in dessen Mitte ein Rind überm Feuer brutzelte. Laken flatterten im leichten Wind, ein Korb mit Wäsche lag umgekippt unter der Leine, und es herrschte lärmende Betriebsamkeit … durch Hordenkrieger.
    Derea riss sein Pferd herum und peitschte mit den Zügeln, zog aber gleich darauf wieder daran, als mit Fellen behangene Berittene ihm den Rückweg versperrten. Patras tänzelte, schnaubte und warf den Kopf hin und her. Axtklingen blitzten in der Sonne, und das Gesicht des Axtschwingers vor ihm schien auf Bart und Zähne zu schrumpfen.
    »Schon wieder weg, Jungchen?« Noch breiteres Grinsen entblößte sogar die Lücken zwischen den Zähnen.
    Andere Hordenkrieger näherten sich bereits zu Fuß, ihre Schatten hatten Derea schon erreicht. Der sah sich hektisch um, deutete auf die Laute, die auf seinem Rücken hing, lächelte verkrampft und bat: »Kein Grund, sich mit mir Mühe zu machen! Bin nur ein Barde auf Durchreise und wollte nicht stören. Die Götter …«
    Den Rest verschluckte er, denn Männer zerrten ihn bereits aus dem Sattel, schlugen seinen Mantel auf und betatschten ihn grob.
    »Keine Waffen, Vorreiter!«
    »Es ist wirklich ein dummer Zufall und …«
    Niemand schenkte ihm Beachtung. Zwei packten seine Oberarme und sahen hoch zu dem bärtigen Mann mit dem breiten Grinsen.
    »Zum Gesinde, ins Gebetshaus?«
    »Bitte nicht!« Derea schüttelte beschwörend den Kopf, als der Vorreiter ihn ausgiebig betrachtete und dabei den Kopf schräg legte.
    Der blinzelte ihn schließlich an und fragte: »Da willst du nicht hin? Weißt du was, Kleiner? Soll der Hauptmann entscheiden. Hast vielleicht Glück, denn der schätzt gewisse Unterhaltung.«
    Gelächter brandete auf, und genauso umgehend wie unbarmherzig schleiften die Krieger den Barden über den Hof. Männer trugen dort an Säcken und Fässern alles, was die Lagerhäuser zu bieten hatten, zu Leiterwagen oder Lastkarren. An Wagen gebundene Ziegen meckerten, und Hühner rannten und flatterten um ihr Leben. Federn auf der Erde und schlaffe Artgenossen auf den Wagen zeugten von ihrer Unterlegenheit. Die Männer indes schienen Spaß an der Hühnerhatz zu haben, liefen herum und lachten. Immer wieder schlug oder trat ein Krieger dabei gegen das Gebetshaus, in dem dann Wimmern und Beten zu Geschrei anschwollen. Krieger brüllten zurück, versuchten dabei, die Todesangst der Gefangenen nachzuahmen, und bogen sich vor Vergnügen. Sie schlugen sich auf die Schenkel, als ein torkelnder Kamerad beim Versuch, gegen die Wand zu treten, auf übereinandergeworfene Leichen fiel und sich, offensichtlich bis zur Besinnungslosigkeit betrunken, an sie kuschelte und einschlief. Umgehend wurden Wetten abgeschlossen, ob er erwachen würde, wenn sie das Gebetshaus anzündeten.
    Die Augen des Spielmanns verengten sich, aber schon wurde die Tür zum Haupthaus aufgestoßen und er hineingeschubst. Er stolperte über die Schwelle, seine Fußspitze blieb im Saum des zu langen Mantels hängen, und er hatte Mühe, nicht zu stürzen. Doch während er noch um sein Gleichgewicht kämpfte, huschte sein Blick schon durch den Raum. Dabei beachtete er aber weder gewebte Wandbehänge noch kunstvoll getischlerte Möbel. Nicht einmal das dünne Pergament in den Fenstern, das vom Reichtum der Bewohner zeugte, fand seine Bewunderung. Seine Aufmerksamkeit galt nur den Menschen.
    Ein Fleischberg thronte ihm gegenüber am Ende der Halle auf dem erhöhten Stuhl des Hausherrn, die rotblonden Haare zu unzähligen Zöpfen geflochten, wie es bei der Horde üblich war. Hingebungsvoll bohrte er in der Nase.
    Eine Frau um die fünfzig, in reich bestickter Tunika und mit schiefsitzender Haube, stand mit einem irdenen Krug hinter ihm. Ihre Augen waren unnatürlich weit aufgerissen, die Hände, die den Krug hielten, bebten.
    Der Hausherr lag schräg hinter ihr auf dem Boden. Das braune Wams war eingerissen, Blut tropfte von seiner Stirn in die Binsen. Erkennen konnte der Barde es aus der Entfernung nicht, die Tatsache jedoch, dass er hier und nicht draußen neben dem Gebetshaus lag, sprach dafür, dass er noch lebte.
    Zu Füßen des Hordenkommandanten kauerte ein pummliger, halbwüchsiger Junge, der ein Brett mit Käseresten und Beeren an seine Brust presste und den Kampf gegen die Tränen offensichtlich längst verloren hatte, so rot und verquollen, wie seine Augen waren.
    Um einen Tisch zur Rechten flegelten sich vier hemdsärmelige Hauptleute, die Umhänge und lederne Brustharnische achtlos neben sich geworfen
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