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Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]

Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]

Titel: Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
Autoren: Liane Sons
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mehr gibt. Der Osten gehört mir, der Norden steht unter meiner Herrschaft und mit Kambala auch das erste Reich der Westunion. Daher wissen sie längst um ihre unausweichliche Niederlage. Soll ihre aus der Furcht geborene Emsigkeit mir jetzt den Schlaf rauben?«
    »Nur das nicht! Schon ausgeschlafen ist deine Überheblichkeit kaum noch zu ertragen.« Der Hohn war nicht zu überhören, aber die Miene des Hexenmeisters blieb unbewegt. »Ich sage es dir trotzdem erneut: Zwischen dir und dem Thron stehen nicht die königstreuen Reiche und auch nicht deren Führer, Morwena und Darius, zwischen dir und da’Kandar steht nur der rechtmäßige Erbe!«
    »Dann trennt mich nichts mehr vom Thron, und sobald Latohor und El’Maran gefallen sind und Darius und Morwena vor mir im Staub liegen und um Gnade winseln, wird es niemand mehr wagen, mir den Titel des Großkönigs zu verweigern.«
    Der Schrei einer Frau, der die Luft durchschnitt, jagte dem Hexenmeister einen warmen Schauer über den Rücken. Die eckigen Schultern zuckten, und sogar das Zerrbild eines Lächelns umspielte seine Lippen, als er erwiderte: »Du träumst von einer winselnden Morwena und einem Darius, der dir zu Füßen liegt? Ich habe dich seinerzeit zu meinem Heerführer ernannt, weil du genauso stark wie ehrgeizig und gewissenlos warst. Deine aus Dummheit geborene Selbstüberschätzung habe ich allerdings unterschätzt. Träume weiter, führe deine Schlachten und bete darum, dass du nie meinem Hirngespinst gegenübertreten musst! Ich werde mich unterdessen der Siegelerben annehmen. Die Versiegelung unserer Quelle würde nämlich nicht nur das Ende deiner Siegeszüge bedeuten, sie würde vor allem meinen Lebenstraum zerstören. Dieses Risiko gehe ich nicht ein. Keiner der Erben darf Latohor lebend erreichen.«
    Die Kritik an seiner Person nahm Camora diesmal ungerührt hin, da schließlich nicht Gelehrte Kriege gewannen, sondern die Starken und Entschlossenen – Männer wie er. Er nickte mit einem Zwinkern. »Wenn du dich ihrer annimmst, ist das auch mehr als unwahrscheinlich. Fast tun mir diese auserkorenen Helden leid.«
    Der Hexenmeister schlurfte schon zur Tür und sah sich nicht mehr um, als er erwiderte: »Aber auch nur fast, nicht wahr?! Bis zum nächsten Mal und … ich würde das Fenster schließen.«
    Erst jetzt bemerkte Camora, dass gelbbrauner Qualm in den Raum waberte. Seine Mahlzeit würde er woanders einnehmen müssen. Aber das war gleichgültig, Hauptsache, es wagte niemand, ihm Fisch vorzusetzen!

2. Kapitel

    Im Grenzgebiet nach El’Maran
    Schäfchenwolken zogen durchs Blau des Himmels, und die Sonne strahlte. Sanft wogte erntereifes Korn auf den Feldern, Vögel sangen im Geäst von Buchenhecken, die die Felder trennten, Grillen zirpten, und eine Entenfamilie watschelte durchs Gras am Wegesrand zum Teich, dessen glitzernde Oberfläche von Wasserhüpfern gekräuselt wurde.
    Der Rappe mit der langen Mähne ging im Schritt, und der Reiter lachte unwillkürlich auf, als eines der Küken stolperte, einen kleinen Abhang hinunterpurzelte und Mutter Ente schnatternd und mit nach vorn gestrecktem Hals die Verfolgung aufnahm. Piepend folgten ihr die restlichen Küken. Als gelbe Bälle kugelten sie bald den Hang hinab und überholten dabei die Mutter.
    Derea hörte die Ente immer aufgeregter schnattern und hätte schwören können, dass ihre übermütigen Nachkommen gerade eine Lektion erteilt bekamen. Ein Busch versperrte schnell den Blick auf das Federvieh, der Duft von Gebratenem wehte zu ihm herüber, und sein seit Tagen schmählich vernachlässigter Magen knurrte. Gelächter, das vom nahen Hof drang, ließ ihn an den Zügeln ziehen. Er wischte sich Schweiß von der Stirn, verschwendete keinen Gedanken daran, wegen der Hitze vielleicht den dicken Fellmantel auszuziehen, sah noch einmal den Weg zurück, atmete tief durch und klopfte seinem Pferd an den Hals.
    »Gleich ist es überstanden, Patras. Zeig, was du drauf hast!« Leicht strich er über die linke Flanke und schnalzte mit der Zunge.
    Das mächtige Ross lahmte schwer, als zwischen Birken der Hof eines freien Großbauern in Sicht kam. Derea sah ein zweistöckiges, rotes Holzhaus, das von zwei einstöckigen Häusern flankiert wurde. Gegenüber befand sich ein kleines Gebetshaus, wie am eingeschnitzten Ornament über der Tür zu erkennen war. Zwei Sicheln hielten einen Ball in ihrer Mitte: Zunehmender und abnehmender Mond rahmten die Sonne. Ställe und Lager zwischen den Häusern begrenzten den
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